Eine unberührte Welt - Band 5 (German Edition)
man für die Schmerztherapie wissen muss.«
»Aber Sie können doch einfach den Leuten, die in Ihre Praxis kommen, eine Haarsträhne abschneiden. Da brauchen Sie doch mich nicht dazu.«
»Im Prinzip ja. Bloß, einen umfassenden Scan hier in Deutschland machen zu lassen ist schlicht unbezahlbar. Mein Trick ist, dass ich Kontakt zu einem Labor in der Ukraine habe, die solche Analysen genauso gut erstellen, aber zu einem Bruchteil dessen, was es hierzulande kosten würde. Nur brauche ich da entsprechenden zeitlichen Vorlauf – allein der Postweg ist ein Albtraum. Das würde zu lange dauern für jemanden, der mit akuten Schmerzen zu mir kommt, verstehen Sie? Deshalb will ich das vorher erledigen. Und es ist um so vieles billiger, dass es sich selbst dann noch lohnt, wenn ich von zwanzig Analysen neunzehn nie brauche.«
Ich überlegte, während ich ihm den Nacken rasierte. »Sie wollen also, wenn jemand zu Ihnen in die Praxis kommt, schon einen fertigen Befund in der Schublade haben?«
»Genau.«
»Ist das denn legal?«
Er verzog das Gesicht. »Na ja. So richtig verboten ist es nicht, aber ich glaube, man hängt es besser nicht an die große Glocke.«
Ich verstand, was er meinte. Mein Sohn stand damals mit seinem Jurastudium kurz vor dem Abschluss, und was er so erzählt hat im Lauf der Jahre war oft ziemlich haarsträubend, wenn ich das mal so sagen darf.
Jedenfalls, ich machte es. Er ließ mir einen ordentlichen Vorrat an Röhrchen da, und ich entwickelte eine unauffällige Methode, die Proben einzusammeln: Beim Zusammenfegen der Haare, wenn ich am Schluss mit der Schaufel komme, halte ich eines der Probenröhrchen in der Hand, stopfe nebenbei ein ordentliches Büschel hinein,und dann, zack, den Stopfen drauf und das Ding in der Tasche verschwinden lassen. Danach ging ich immer kurz nach hinten, pappte das Namensschild dran und tat es in eine Schublade, zu der nur ich den Schlüssel habe.
Es war auf jeden Fall das bessere Geschäft. Er zahlte sofort bei Abholung, und ohne Belege. Und steuerfrei ist Geld ja glatt das Doppelte wert heutzutage, bei all den Steuern und Abgaben. Jedenfalls, innerhalb kürzester Zeit stand zu Hause einer von diesen riesigen Fernsehern mit Plasmabildschirm und der passende DVD-Player dazu, und meine Frau staunte nicht schlecht, wie oft ich sie plötzlich zum Essen ausführte.
Keine zwei Wochen übrigens, nachdem ich damit angefangen hatte, Haarproben zu sammeln, klagte das erste Mal jemand über Schmerzen in der Schulter, ein Werbegrafiker, den ich öfters an jemanden empfohlen habe, wenn ich’s recht überlege, und der sich nie auch nur bei mir bedankt hat, von anderem ganz zu schweigen. Da war mein Medizinmann schon ein anderes Kaliber. Jedenfalls, ich drückte ihm einen von den Prospekten in die Hand und erzählte ihm von Schwermetallen und Naturheilkunde, natürlich ohne zu erwähnen, was sonst noch so lief. Er schaute zuerst skeptisch, doch ein paar Tage später kam er extra vorbei, um mir zu sagen, wie sagenhaft ihm der Arzt geholfen habe. Ganz billig schien es nicht gewesen zu sein, und die Krankenkassen zahlen diese Art Therapie wohl nicht, aber wenn man vor Schmerzen nicht schlafen kann, drückt man gern ein paar Hunderter ab für eine Behandlung, die hilft. »Wie Zauberei«, meinte er. Er konnte nicht mal genau sagen, was der Arzt eigentlich gemacht hatte, bloß dass die Schmerzen am nächsten Tag restlos weg gewesen waren.
Das gefiel mir. Bis dahin hatte ich insgeheim ein bisschen das Gefühl gehabt, etwas zu machen, das nicht hasenrein ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Weil diese Heimlichtuerei dabei war. Aber nachdem der Werbegrafiker so begeistert war, verflogen alle meine Bedenken, zumal er nicht der Einzige blieb. Dass der neue Arzt im Ort in Sachen Schmerzen eine Kapazität ersten Ranges war, sprach sich herum wie ein Lauffeuer. Ich sah zu, dass ich meine Prospekte unters Volkbrachte, weil, die Geschichte mit den Gutscheinen sollte ja auch noch einmal Scheinchen in die Kasse spülen. Im Lauf der Zeit sah man erst, wie viele Leute sich mit undefinierbaren Schmerzen plagen, unglaublich. Es kam mir vor, als sei plötzlich eine Seuche ausgebrochen.
Was mir, im Nachhinein betrachtet, etwas zu denken hätte geben können, war, dass manche, bei denen die Therapie gut angeschlagen hatte, erzählten, dass die Wirkung bald nachließ, sodass aus der ganzen Angelegenheit eine Art Dauertherapie wurde. Es traf keine Armen, vielleicht kümmerte es mich deshalb nicht
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