Eine unberührte Welt
weit entfernten fremden Planeten, sich ausgerechnet für Fußball interessierten.
Mein Großvater hat mir erzählt, wie es war, als sie das erste Mal die Erde besuchten. Er ist nämlich dabei gewesen an jenem denkwürdigen Tag, er und fünfzigtausend andere, damals, während der Weltmeisterschaft 2006, als mitten im Spiel Frankreich gegen Südkorea urplötzlich dieses riesige Raumschiff über dem Westfalenstadion auftauchte. In der 56. Spielminute, heißt es in den Büchern lapidar.
Das löste natürlich erst einmal Entsetzen aus. Aliens! Extraterrestrische Intelligenzen! Wesen von einem anderen Stern, der Menschheit offensichtlich technisch haushoch überlegen! Alle hatten Angst. Was um alles in der Welt wollten sie? Uns angreifen? Die Erde erobern? Die Menschheit vernichten oder versklaven?
Wie sich herausstellte, war alles, was sie wollten, Fußball zu spielen.
Der Planet Endora umkreist, wie heutzutage jedes Kind weiß, die im Sternbild Wassermann gelegene Sonne Ross 780 in 15,34 Lichtjahren Entfernung. Es dauerte also genau 15 Jahre, 4 Monate und ein paar Tage, bis die ersten Fernsehsendungen, die hier auf der Erde ausgestrahlt worden sind, Endora erreichten und dort aufgefangen wurden. Sie tüftelten bald heraus, was die Signale zu bedeuten hatten und wie man sie zu Bild und Ton zusammensetzte, und verfolgten dann das irdische Fernsehprogramm mit zunächst eher verhaltenem Interesse.
Bis sie eines Tages ihre erste Fußballweltmeisterschaft zu sehen bekamen: Mexiko 1970, die erste vollständig per Satellit in alle Welt – und natürlich auch in den Weltraum – übertragene Fußball-WM der Geschichte. So um das Jahr 1985 erreichten die Funkwellen von damals Endora, und aus irgendeinem Grund, den, glaube ich, keiner so richtig versteht, nicht einmal die Endoraner selber, brach daraufhin dort die absolute Fußballbegeisterung aus. Die Aliens begannen zu kicken, und als sie heraushatten, wie das ging, gründeten sie Mannschaften und fingen an, eigene Meisterschaften auszutragen.
Trotzdem blieben ihre Idole die menschlichen Fußballspieler, die sie aus den Übertragungen kannten – Pelé, Franz Beckenbauer, Cubillas, Gerd Müller, Rivelino und so weiter.
Der Witz ist nämlich: Die Endoraner sind zwar verrückt nach Fußball – aber sie können’s nicht wirklich gut. Und sie sind klug genug, das selber zu wissen.
Das hat einfach biologische Gründe. Die Endoraner haben eine weitgehend andere Entstehungsgeschichte und sind folglich ganz anders gebaut als wir Menschen. Sie sind geschickter als wir, aber nicht so stark. Wenn es darum geht, zu rennen, sind sie unglaublich spurtstark, um nach spätestens zwanzig Metern außer Puste zu kommen. Sie verlieren leicht die räumliche Orientierung. Ein Kopfball ist für sie ein Ding der Unmöglichkeit, weil sie nicht die Muskulatur besitzen, die man dazu bräuchte.
Logisch, dass sie den Fußball nicht selber erfunden haben.
Rätselhaft, dass sie trotzdem so einen Narren daran gefressen haben. Sie nennen es n’ikk’’d’jub, was mein Endoranisch-Lexikon übersetzt als vergnügliches Ballspiel.
Diese Wesen also schwebten 2006 über dem Dortmunder Westfalenstadion und schickten aus ihrem Raumschiff heraus ein Fax (ich habe mich immer gefragt, wer letztendlich die Telefongebühren dafür bezahlt hat) an die FIFA, in dem sie sich vorstellten und höflich anfragten, ob es denkbar wäre, dass ihre Auswahlmannschaft sich an der Fußballweltmeisterschaft beteiligte.
Die nächsten vier Jahre vergingen mit allerlei Aktivitäten, wie sie ein Erstkontakt mit fremden Wesen von einem fremden Stern nun einmal so mit sich bringt. Die Wissenschaftler waren aus dem Häuschen, die Raumfahrtingenieure hatten Depressionen und die Politiker Zustände. Jedenfalls sagt mein Großvater das, und obwohl er gelegentlich zu Übertreibungen neigte, glaube ich, dass das eine Zeit gewesen sein muss, der man nicht anders als mit Übertreibungen beikommt, wenn man von ihr erzählen will.
Jedenfalls, unter allem anderen befasste sich die FIFA eingehend mit dem Anliegen der Endoraner. Man beriet sich mit Medizinern, menschlichen wie endoranischen, führte Bewegungsstudien und Testspiele durch und so weiter auf der Suche nach Regeländerungen, die dafür sorgen würden, dass ein Spiel zwischen einer irdischen Nationalmannschaft und der endoranischen Auswahl nicht mit sterbenslangweiligen 100:0 ausging. Man experimentierte mit anderen Bällen, kleineren Toren und so fort, und führte schließlich
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