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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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waren und die mal wieder Schmerzen haben mussten, damit sie wiederkamen und für eine weitere Behandlung zahlten. Ich malte mir aus, wie er über deren Ouangas finstere Zauberformeln flüsterte und dann seine Nadeln hineinstieß, in Schultern, in Nacken, in Bäuche und Unterleiber, in Beine oder Ellbogen …
    Und dann schüttelte ich immer den Kopf und sagte mir, dass das Blödsinn war, nichts als dummer Aberglaube.
    Aber ich kriegte die Idee nicht aus dem Schädel.
    Und meine Frau meinte irgendwann, ich würde plötzlich mehr trinken als sonst. Sie wissen schon, ein kleiner Schlummertrunk vor dem Zubettgehen. Oder auch zwei, und nicht ganz so kleine, und nicht erst vor dem Zubettgehen.
    Jedenfalls, irgendwann hatte ich den Einfall, wie ich diese wilde Theorie überprüfen konnte.
    Sie kennen ja den Witz, dass man immer zu dem Friseur gehen soll, der am schlechtesten frisiert ist. Man kann sich nun mal nicht selber die Haare schneiden, das ist Tatsache. Deshalb frisieren sich Friseure gegenseitig. Weil ich hier im Laden der einzige Herrenfriseur bin, gehe ich immer zu einem Kollegen, der draußen in der Siedlung einen kleinen Laden mit seiner Frau zusammen hat. Und er kommt zu mir. Und als er das nächste Mal kam, bewahrte ich eine Probe von seinem Haar auf, an einer besonderen Stelle in meiner Schublade.
    Und dann gab es eine Kundin, die regelmäßig kam und auch immer viel Geld daließ, die wir aber trotzdem alle aus tiefster Seele hassten, weil sie ein widerliches Aas war. Wenn sie anrief, um einen Termin auszumachen, und es darum ging, von wem sie frisiert werden wollte, hatte sie früher immer gesagt: »Hauptsache, nicht von der, die mich das letzte Mal verunstaltet hat.« Und seit Therésa bei uns arbeitete, fügte sie hinzu: »Und nicht von dieser Negerin, wenn ich bitten darf.« Sie verstehen? Diese Art von Kotzbrocken war sie.
    Von ihr nahm ich bei nächster Gelegenheit auch eine Haarprobe.
    Und als ich die Namensetiketten aufklebte, vertauschte ich die beiden Röhrchen.
    Pünktlich drei Wochen, nachdem ich die Proben abgegeben hatte, klagten beide über Schmerzen im Rücken, mein Kollege aus der Siedlung und die dumme Kuh. Ihm riet ich, sich orthopädische Schuhe anzuschaffen. Der dusseligen Kuh gab ich den Prospekt der Praxis für Schmerztherapie.
    Sie muss auch hingegangen sein, und nicht nur einmal, denn sie rief irgendwann an und beschwerte sich, wie viel Geld sie für diese Behandlungen ausgegeben hätte, und nichts täten sie helfen. Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass sie in irgendeiner Fachklinik liegt und sich fortwährend am Rücken operieren lässt. Ich meine, gut, sie war ein Aas, aber es gibt Grenzen, oder? Am liebsten hätte ich dem Doktor als Nächstes ein Büschel seiner eigenen Haare untergejubelt, damit er sich mal kräftig selber piesackt, bloß fiel mir dabei auf, dass er schon ewig nicht mehr zum Haareschneiden zu mir kam. Seltsam, oder?
    Kurz darauf fuhr ich zu meinem Kollegen aus der Siedlung, einerseits, weil mein Haarschnitt überfällig war, hauptsächlich aber, weil ich mich vergewissern wollte, wie es ihm ging, und siehe da, dem ging es blendend. Er bedankte sich für den Tipp mit den orthopädischen Schuhen, die Schmerzen seien weg wie nie gewesen. Und dann sagte er, während er mir die Nackenpartie stutzte: »Übrigens, wie das Leben so spielt. Seit neuestem kommt ein Arzt zu mir, der auf Schmerztherapie spezialisiert ist.«
    Ich sagte »Ach, wirklich?«. Da war er also abgeblieben, mein Zauberdoktor.
    »Ja. Arbeitet mit chemischen Haaranalysen. Hat mich gebeten, die Haare meiner Kunden für ihn zu sammeln, damit er die in einem Institut in der Ukraine vorab untersuchen lassen kann, nur für den Fall, dass mal einer zu ihm kommt. Er zahlt sogar was dafür, und nicht wenig. Ich meine, ich kann mir kaum vorstellen, dass sich das lohnen soll, aber das ist ja sein Problem letzten Endes.«
    Ich schaute an mir herunter, sah meinen Haaren nach, die am Frisierumhang abwärts rutschten und sich rund um den Sessel am Boden versammelten, und murmelte irgendwas, ich weiß nicht mehr, was. So also lief das. Ich sah sie schon büschelweise in ein schwarzes Ouanga eingearbeitet, konnte den kommenden Nadelstich, der mir unerträgliche Schmerzen bescheren würde, förmlich kommen fühlen. Ausgetrickst. All das schöne Geld, das er mir bezahlt hatte, würde er mir jetzt nach und nach fein wieder abknöpfen, und ich würde froh sein können, wenn es dabei blieb.
    Ungefähr um diese Zeit

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