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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Aber er hat mich gebeten, es nicht zu tun, und natürlich halte ich mich daran und erkläre also, dass alles, was ich hier erzähle, reine Fiktion ist, selbstverständlich, nichts als meine pure Erfindung. Womit das hoffentlich abgehakt wäre.
    Er lächelte sphinxhaft und winkte dann ab, mit einer jener sparsamen Gesten, an denen man ihn sofort erkennt. »Gerade darauf will ich doch hinaus, verstehen Sie? Skandale, Bestechung, Kriege – das kennen wir alles. Was im Einzelnen los ist, spielt für unser Weltbild keine Rolle. Die Begriffe sind uns vertraut. Es ist etwas, das es unserer Vorstellung nach wirklich gibt. Und das glauben wir auch, wenn wir noch nie in einen Skandal verwickelt worden sind. Auch, wenn wir noch nie bestochen worden sind. Ihre Generation hat auch einen Krieg nie am eigenen Leib erfahren müssen. Gott sei Dank, nicht wahr. Aber Drachen …« Er hielt schmunzelnd inne, und sein Blick wanderte über seine Sammlung von Erinnerungsstücken an seine Reisen, reichverzierte Krummsäbel und zerschlissene Gebetsfahnen an den Wänden, tönerne Gefäße und kleine Jade-Statuetten auf schmalen Borden. »Bei Drachen, da sind wir uns absolut sicher, dass die ins Reich der Märchen gehören. Vielleicht gehören sie da auch hin, das will ich gar nicht in Abrede stellen, aber es gibt sie jedenfalls. Hier. Heute. In unserer Welt. Nicht viele, man muss schon danach suchen, aber es gibt sie. Und das Irrsinnige ist, das ist nicht mal ein großes Geheimnis. Sie würden sich wundern, wie viele Journalisten Ihnen das im vertraulichen Gespräch bestätigen, auch wenn sie den Teufel tun und jemals auch nur ein Wort darüber schreiben würden.«
    Kennengelernt hatten wir uns auf einem Verlagsempfang während der Frankfurter Buchmesse. Normalerweise nicht die geeignete Umgebung, um über ein mehr oder weniger beeindrucktes Händeschütteln und einen Small-Talk, mit dem man beweisen will, wie unbeeindruckt man ist, hinauszugelangen, aber trotz all dem und trotz des nicht unbeträchtlichen Unterschieds an Lebensalter und Erfahrungshintergrund war zwischen uns ein Draht da gewesen, der in der Folge zu Briefwechseln, Telefonaten und schließlich dazu geführt hatte, dass ich an diesem Abend, nach einem beeindruckend guten Essen in einem Restaurant, das eigentlich auch ins Reich der Märchen gehört, in seiner beeindruckenden Bibliothek saß und das Gespräch über Gott und die Welt irgendwie auf Drachen gelangt war.
    »Wir verstehen uns richtig?«, setzte ich noch einmal an, während ich mein Weinglas wieder absetzte, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Das schien mir jetzt doch zu riskant. »Wenn wir von Drachen reden, meinen wir nicht die, die kleine Jungs im Herbst in den Himmel steigen lassen, sondern die anderen? Die Jungfrauen entführen und denen sieben Köpfe nachwachsen, wenn man ihnen einen abschlägt?«
    »Was für Eigenschaften sie tatsächlich haben, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber es muss doch etwas bedeuten, dass Sie zu allen Zeiten und bei jedem Volk auf diesem Planeten Legenden über Drachen finden und dass sich alle Beschreibungen ähneln.«
    »Mit anderen Worten, in Loch Ness haust wirklich ein Drache.«
    »Wer weiß. Vielleicht war es sogar ein Drache, der die ganzen Schiffe im Bermudadreieck hat spurlos verschwinden lassen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Das werden wir niemals erfahren.«
    »Weil niemand dabei war«, nickte ich. »Weil es zwar massenhaft Legenden gibt, aber keine Fotos.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich würde mich wirklich besser fühlen mit ein paar Fotos. Oder mit einem anderen Beweis.«
    »Vielleicht hat es einen Grund, warum keine Fotos existieren. Es heißt ja, Drachen seien magische Lebewesen.« Er hob die Hand, als befürchte er einen Aufschrei der Entrüstung; übrigens zu Recht. »Was immer das im Lichte unserer naturwissenschaftlichen Weltsicht bedeuten mag, wohlgemerkt. Vielleicht findet eines Tages jemand, dass die psychologische Deutung von Magie nicht die einzig mögliche ist.«
    »Ich fürchte, auch dafür wird er irgendwelche Beweise haben wollen«, beharrte ich.
    Mein Gegenüber nickte verständnisvoll und erhob sich aus seinem wunderbaren alten ledernen Ohrensessel – um den ich ihn inbrünstig beneide, anbei bemerkt. Er ging die Regale seiner Memorabilien ab und blieb vor einem Stück Marmor stehen, das eiförmig und so lang wie ein Unterarm war und von einer darüber hängenden Rotlichtlampe angestrahlt wurde, deren Licht die feinen, archaischen

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