Eine unberührte Welt
anderen beeilen sich, es ihm gleichzutun. Ein Chor eigenartig dünner, spitzer Pfeiftöne steigt in den eisgrauen Himmel, ein Klang, der irgendwie nur zu einem Teil in diese Welt zu gehören scheint.
»Qu’est-ce qui se passe?«, wundert sich Pascal, doch ich höre seine Stimme wie durch Watte, und die Watte ist in meinem Kopf.
»Ich habe keine Ahnung, was das soll«, rufe ich ihm zu. Die Hubschrauber beeindruckt es jedenfalls nicht im Mindesten. Sie kommen gemächlich näher, bewegen sich wie Raubtiere, die wissen, dass ihre Beute nicht mehr entkommen kann. Ich mache es Pascal nach, der es aufgegeben hat, an seiner Kamera herumzunesteln, und steige vom Pferd.
Meine Bauchmuskulatur spannt sich, als wäre mein Körper der Überzeugung, Kugeln aus russischen Bordgeschützen standhalten zu können. Dabei werde ich nicht einmal diesem Pfeifkonzert mehr lange standhalten, es scheint Löcher in meinen Kopf bohren zu wollen. Ich habe noch nie von einem derartigen Brauch gehört.
Ich will etwas schreien, doch eine Art Schatten, den ich aus den Augenwinkeln schräg hinter mir zu sehen glaube, lässt mich den Kopf wenden. So kommt es, dass ich ihn sehe.
Den Drachen.
Ein Tier so gewaltig wie ein Jumbo-Jet stürzt aus der Höhe des Himmels herab. Eine Masse, deren bloßer Anblick einem das Herz stehenbleiben lässt. Ich sehe Schuppen groß wie Kofferraumdeckel, als es dicht über uns hinwegfegt, und der Luftstoß schleudert mich wehrlos auf die Felsen. Ich höre Pascal aufheulen, aber darum kann ich mich jetzt nicht kümmern. Ich muss aufspringen und sehen, was da geschieht, muss zuschauen, wie das schlangenartige, geflügelte Wesen ins Tal hinabrauscht, auf die russischen Hubschrauber zu. Mein Verstand hat ausgesetzt, auf reine Aufnahme geschaltet, akzeptiert alles. Die Schulbildung enthält sich jeglichen Kommentars. Es passiert, und ich bin dabei. Das Einzige, was mich flüchtig wundert, ist, wie wenig es mich wundert.
Die Hubschrauber haben angehalten, stehen reglos in der Luft, tasten mit ihren Scheinwerfern dem Drachen entgegen, der sich fast spielerisch durch die Dämmerung schlängelt, mit eigentlich viel zu kleinen Flügeln und einem langen Schwanz, der wahrhaftig in eine Art Steuerruder ausläuft. Werden die Soldaten nervös? Sie wären keine Menschen, würden sie es nicht. Sie machen den Fehler, zu schießen.
Man sieht das Mündungsfeuer, noch ehe man die Schüsse hört, und die Reaktion des Drachen auch. Ein greller Feuerschwall, hell wie der Triebwerksstrahl einer startenden Rakete, schießt aus seinem Maul auf die drei Hubschrauber zu und hüllt sie ein. Eine der Maschinen explodiert sofort, die zweite mit Verzögerung, die dritte kann noch aus dem Inferno entkommen, um auf dem Boden der Schlucht zu zerschellen und in Flammen aufzugehen. Der Donner der Explosionen rollt über uns hinweg und macht die Lasttiere nervös, aber das ist nichts gegen den Schrei, den der Drache ausstößt, als er sich in einem unglaublichen Flugmanöver in den Himmel hinaufschwingt, um sich, gerade als die Strahlen der untergehenden Sonne seinen schlanken Leib goldschimmernd aufleuchten lassen, herumzuwerfen und noch einmal dicht über uns hinwegzufliegen, als müsse das so sein zum Abschluss einer solchen Aktion.
Ich schaue mit weit aufgerissenen Augen, während ich spüre, wie sich in meinem Hinterkopf der erste Widerspruch bildet, eine Stimme, die gleich behaupten wird, dass nicht sein kann, was ich sehe, dass ein solches Tier physikalisch unmöglich ist, dass Drachen mythologische Wesen sind, Märchengestalten, die in Legenden vorkommen, aber nicht in den Tagesthemen. Ich zögere den inneren Disput hinaus, gehe sozusagen nicht ans Telefon, weil ich schauen muss, weil ich diesen Anblick aufnehmen und in meiner Erinnerung bewahren will, wenn schon kein Gerät zur Hand ist, das dazu im Stande wäre.
Der Drache ist riesig. Im Flug wirkt er wie ein amerikanischer B52 -Bomber, der sich im Kunstflug versucht, nur dass er wesentlich kleinere, fledermausähnliche Flügel hat und dass sein Leib sich windet und schlängelt wie eine angreifende Anakonda. Auch von militärüblichen Tarnfarben hält er nichts, sein Körper schimmert teils golden, teils silbern. Zwei gewaltige Pranken entdecke ich, die elegant nach hinten gerichtet sind und, wie es den Anschein macht, zusammen mit dem elastischen Schweif für Flugstabilität sorgen.
Dieses gewaltige Tier rast auf uns zu. Mir stockt der Atem. Ein fliegender Blauwal könnte nicht
Weitere Kostenlose Bücher