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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Trostlose Gegenden sind es, die wir durchqueren, leblose und vereiste Steinwüsten. Würde jemand behaupten, dies sei der Schuttabladeplatz Gottes, der Hinterhof, auf den er einst achtlos jene Baumaterialien schüttete, die bei der Erschaffung der Welt übriggeblieben sind, ich wüsste kein Gegenargument.
    Endlich findet Ahmad einen sicheren Übergang und gibt das Zeichen, ihm zu folgen. Die schwerbepackten Tiere überqueren den Fluss langsam und vorsichtig und in großem Abstand. Die Pferde tun sich schwer, während die Kamele mit ihren weichen Plattfüßen und ihrem sanften Wiegeschritt wesentlich sicherer gehen, sich sogar umschauen, als interessiere sie die Landschaft.
    Wir haben zwei Stunden für zwei Kilometer gebraucht, und nun geht es einen Pass hinauf, obwohl die Dämmerung naht. Der Pfad ist so vereist, dass Ay Sattar Sand aus einem mitgebrachten Beutel streuen muss, damit er begehbar wird. Die Kamele sträuben sich, sind nur mit Zerren und Gebrüll zum Gehen zu veranlassen. Alle fünfzig Schritte müssen wir den Tieren eine Pause gönnen, dann geht es weiter, um jeden Meter muss erbittert gerungen werden von Mensch und Tier gleichermaßen.
    Ein heimtückisch kalter Wind kommt auf, beißt mir ins Gesicht. Ich reibe fortwährend meine Nase und meine Wangen, um sie vor dem Erfrieren zu bewahren. In Pascals Bart hängen Eiszapfen, seine Augen sind blutunterlaufen, trotzdem bedient er mit klammen Händen die Kamera, versucht das atemberaubende Panorama auf ein paar Quadratzentimetern Film einzufangen, will den Betrachter später ahnen lassen, wie es ist, an den Flanken dieser Götterberge emporzuklimmen, zitternd in einer gleichgültigen Bergwand zu hängen, in der jeder Sturz oder falsche Schritt das sichere Ende bedeutet.
    Plötzlich spüre ich Unruhe um mich herum. Die Tiere scheuen, sträuben sich, den nächsten Fuß vorzusetzen, die Treiber geraten in Panik. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass jeder unserer Begleiter ein dünnes Pfeifchen an einer Schnur um den Hals trägt; bisher hatten sie es unter ihren Jacken verborgen gehabt, doch nun greifen sie auf einmal alle danach wie nach einem Talisman. Ich will gerade eine diesbezügliche Frage stellen, als ich es höre. Das Geräusch, das der Grund der Unruhe ist.
    Ein fernes, unheilvolles Knattern.
    Sowjetische Hubschrauber.
    »Borem, borem!«, schreit Khodai Shah, der das letzte Gespann führt, »weiter, weiter«. Doch es hat keinen Sinn zu drängeln, schneller geht es nicht.
    Man hört weit in diesen Bergen, deshalb bin ich überrascht, als ich mich im Sattel umdrehe und in der Ferne bereits die fahlen Lichtfinger der Suchscheinwerfer entdecke. Das ist keine Routinepatrouille. Die Russen müssen uns irgendwie aufgespürt haben. Vielleicht mit Hilfe ihrer Luftaufklärer oder Satelliten, doch die wahrscheinlichere Erklärung ist, dass sie einen Hinweis bekommen haben, gegen harte Rubel, versteht sich. In Afghanistan ist alles käuflich, auch Loyalität.
    »Merde!«, flucht Pascal neben mir, aber sein Zorn gilt nicht dem nahenden Verderben, sondern der Tatsache, dass er nicht im Stande sein wird, es zu fotografieren: Er hat hastig versucht, einen neuen Film einzulegen, und dabei ist ihm ein Tropfen aus der Nase ins Kameragehäuse gefallen, auf der Stelle gefroren und blockiert nun die Mechanik.
    Ahmad Wahil ruft etwas, das ich nicht verstehe, und der Zug kommt zum Stillstand. Alle Augen sind auf die sich nähernden Hubschrauber gerichtet. Drei sind es, dunkelgrau und gedrungen, und ich bilde mir ein, selbst auf diese Distanz schon den roten Sowjetstern an ihren Flanken zu erkennen. Noch haben sie uns nicht entdeckt. Ich mustere unseren bärtigen Führer mit seiner stolzen schwarzen Fellkappe und frage mich, ob er womöglich glaubt, wir könnten davonkommen, indem wir uns tot stellen. Es muss ihm klar sein, dass das aussichtslos ist. Die Russen besitzen Infrarot-Detektoren, die uns hier oben im eiskalten Hochland unfehlbar aufspüren werden. Alles, worauf wir hoffen können, ist, dass sie Anweisung haben, uns zu verhaften.
    Doch – die Männer drängen die Pferde und Kamele gegen den Fels, lassen sie sich hinlegen. Schon das ist Wahnwitz: Die Tiere sind erhitzt vom Anstieg; selbst wenn wir schon oben und auf dem Rastplatz wären, müssten sie erst zwei Stunden stehen, ehe sie sich auf den tiefgefrorenen Boden legen dürften. »Ahmad?!«, rufe ich, doch er beachtet mich nicht.
    Stattdessen führt er sein Pfeifchen an die Lippen und bläst hinein. Und die

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