Eine unberührte Welt
dahin kennengelernt hatte. Damit – ich legte einen kleinen Hinweiszettel bei – hoffte ich die Aufmerksamkeit für meinen Romanerstling zu befördern. Denn dass so ein Erstling es nicht leicht haben würde, das hatte ich im Verlauf des Jahres gelernt.
Jungen Menschen muss man heutzutage vielleicht erklären, was eine Cassette war: ein Ding, mit dem man Akustisches aller Art speichern konnte, aber nicht in digitaler Form und in Speicherchips – die waren damals noch zu groß und zu teuer dafür –, sondern auf einem winzigen Magnettonband. (Wer Genaueres wissen will, muss vermutlich ins Museum gehen.) Nicht erklären muss man das Grundkonzept: Das, was ich da zu basteln vorhatte, nennt man heute »Audiobook« oder »Hörbuch«.
Zunächst schrieb ich die Geschichte. Geplant war, dass sie etwas mit Silvester zu tun haben sollte. Dass sie von einem deprimierten Schriftsteller handelte, war nicht geplant, aber vermutlich nicht zu vermeiden. Und irgendwie rutschte, wie schon erwähnt, das nahende Jahr 2000 herein. Ich schrieb, überarbeitete, feilte. Es sollte alles stimmen. Immerhin würde es ja eine Art Gesellenstück werden.
Nachdem der Text stand – der Winter rückte näher –, ging es ans Aufnehmen. Ich zog das so professionell wie möglich durch. Von einem Freund borgte ich mir ein Mischpult, ein sagenhaft empfindliches Kondensatormikrophon, ein Hallgerät und so weiter (einen guten Cassettenrekorder und Kopfhörer hatte ich selber) und machte mich ans Werk. Gar nicht so leicht! Der Text hatte über zwanzig Seiten, und die einigermaßen ohne Versprecher, Verhaspler und womöglich auch noch einigermaßen sinnvoll betont aufs Band zu kriegen erforderte schon etliche Anläufe. Ich weiß nicht mehr, ob ich zufrieden war oder einfach nur die Nase voll hatte – vielleicht wurde auch einfach nur die Zeit allmählich knapp –, jedenfalls hörte ich irgendwann auf mit Lesen und machte weiter mit dem nächsten Schritt, der Vervielfältigung.
Ja, auch das war nicht einfach im Zeitalter vor DSL und USB-Sticks, liebe Kinder. Einfach per Massen-E-Mail ans ganze Adressbuch schicken, das war noch nicht üblich in diesen finsteren Zeiten! Nein, es war nötig, Kopien von der Mastercassette zu ziehen. Das konnte man in speziellen Doppel-Cassettendecks selber machen; ich wollte jedoch optimale Tonqualität erzielen und beauftragte deswegen ein Tonstudio damit. Die zogen von meiner Cassette ein Mastertonband (das ich immer noch im Schrank habe, obwohl ich bezweifle, dass es noch viele Geräte gibt, auf denen man es abspielen könnte) und davon dann Kopien, die – fünfzig Stück an der Zahl – schließlich in einem hübschen Karton bei mir eintrafen. Die beiliegende Rechnung war weniger schön, aber 1994 hatte ich meine eigene Firma, die auch ganz gut lief, sodass ich mir erlauben konnte, ab und zu etwas Geld zu verplempern.
Aufkleber und Hülleneinleger machte ich wieder selber, mithilfe eines nahe gelegenen Copyshops (damals in Stuttgart am Berliner Platz befindlich – inzwischen, habe ich gesehen, gibt es ihn nicht mehr). Und schließlich verbrachte ich noch einen Abend damit, die Dinger mit Grüßen zu versehen und einzutüten, um sie anderntags zur Post zu bringen.
Ich erhielt ganz nette Reaktionen darauf. Dass meine Aktion dem Verkauf der »Haarteppichknüpfer« zuträglich gewesen ist, darf bezweifelt werden. Aber: Der Weg dieser Kurzgeschichte war noch nicht zu Ende.
Im Jahre 1994 war der Zugang zum Internet noch eine Sache für Spezialisten, aber es gab immerhin schon Compuserve, und ich war dort im Verlauf des Jahres Mitglied geworden. Compuserve war eine Art Internet für Anfänger – es gab E-Mails, es gab Diskussionsforen, alles noch sehr rudimentär (man bedenke, 1994 wurde noch ernsthaft diskutiert, ob Windows eine Zukunft habe oder nicht) und kompliziert, aber immerhin. In einem dieser Foren hatte ich mit einer gewissen Barbara Schnell Kontakt, wobei es unser gemeinsames Faible für den schottischen Schriftsteller Allistair MacLean war, das uns verband. Da sie zudem »irgendwie« als Übersetzerin, jedenfalls im Umfeld von Verlagen tätig war, kam sie gleich aus doppeltem Anlass auf die Weihnachtsliste.
Besagte Barbara Schnell (die tatsächlich als Übersetzerin arbeitet; sie hat u.a. die Romane von Diana Gabaldon ins Deutsche übertragen) hatte besagte Cassette an einen bei der ZEIT tätigen Redakteur weitergereicht. Und der wiederum kontaktierte mich gegen Ende des folgenden Jahres: Er würde die
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