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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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plötzlich aufbrausende Wut. Seine Stimme hatte etwas Unerbittliches bekommen, das hörte sie, wenn er telefonierte. Er war immer auf der Hut, immer in der Offensive. Für den Fall, dass etwas Neues passierte. Sie hatte diese Seite an ihm noch nie gesehen, und sie wollte, dass er diese Seite ablegte, denn sie mussten nach vorne sehen. Aber sie war auch gerührt, weil er sich auf diese Weise aufbäumte und sie mit seinem ganzen Wesen beschützte. Er war noch nie so groß und breit gewesen wie jetzt, seine Sprache hatte noch nie so brutal und kalt geklungen.
    »Glaubst du, dass er uns beobachtet?«, fragte sie.
    Karsten sah sich aufmerksam um, musterte die Häuser der Straße.
    »Nein, jetzt red keinen Unsinn. Aber vielleicht denkt er an uns. Vielleicht ist er stolz darauf, was er getan hat, vielleicht plant er etwas Neues. Geh ein bisschen an die Seite, Lily, da kommt ein Auto! Mann, fährt der schnell.«
    Sie blieben stehen, während der Wagen an ihnen vorbeischoss.
    »Schillinger«, sagte Karsten.
    »Wer?«
    »Bjørn Schillinger. Du weißt doch, der mit den Huskys. Der wohnt oben am Sagatoppen. Hast du sein Auto gesehen? Das war ein Landcruiser. Wenn wir den Honda verkaufen, nehmen wir als nächstes einen Landcruiser.«
    »Warum?«
    »Der ist größer und stärker«, erklärte er. »Und macht mehr her. Acht Zylinder. Zweihundertachtundsechzig PS . Wie weit willst du noch gehen? Es ist so heiß; Margrete ist ja schon knallrot.«
    Lily zögerte. Das Kind schlief und sie trug bequeme Schuhe.
    »Wir gehen bis zum Sagatoppen«, sagte sie. »Und auf der Brücke drehen wir dann um.«
    Zwanzig Minuten später hatten sie die Brücke erreicht.
    Als ein Bus an ihnen vorbeifuhr, mussten sie sich an das Geländer pressen. Lilys Rock flatterte um ihre Beine. Reflexartig hielt sie den Wagen fest, als sie das Rauschen des Wassers hörte. Sie beugte sich über das Geländer und starrte nach unten. Das Wasser war rostbraun mit gelblichem Schaum. Auf einem Felsvorsprung sah sie die Reste eines Lagerfeuers, eine leere Bierdose kullerte klappernd über die Steine, Karsten legte ihr den Arm um die Schultern, und sie lehnte sich an seine breite Brust.
    »Wasser hat so eine Kraft«, sagte er. »Hör mal, es dröhnt wie ein Motor. Früher haben sich die Menschen mit der Kraft begnügt, die uns Sonne, Wind und Wasser geben. Heute beuten wir die Erde aus.«
    »Willst du deshalb auf den Landcruiser umsteigen?«, neckte ihn Lily.
    Er grunzte eine unverständliche Antwort, und Lily wurde wieder ernst. Sie spürte, wie seine Brust sich hob und senkte, und ihr war seltsam zumute. Die Ereignisse hatten sie verletzlich gemacht, denn sie kam nicht darüber hinweg, konnte nicht vergessen, was ihrer Margrete widerfahren war. Etwas Böses hatte sie ins Visier genommen, hatte mit zitterndem Finger auf sie gezeigt und hatte so etwas unwiederbringlich zerstört. Alles war aus dem Takt geraten, das Licht, der Rhythmus des Lebens. Sie sah die Steine unten im Wasser, die waren rund und glatt. Dann entdeckte sie noch etwas anderes, es sah aus wie ein Rad.
    Sie drückte Karstens Arm.
    »Ist das ein Rad von einem Dreirad?«, fragte sie erschrocken.
    Karsten starrte angestrengt hinunter ins Wasser. Er sah etwas Rotes. Eine Art Lenker. Ein Rad, sah er auch, und schwarzes Gummi.
    »Das Rad ist zu groß«, meinte er.
    »Ein Kinderwagen?«, fragte sie ängstlich. »Oh Gott, ist das ein Kinderwagen, Karsten?«
    Karsten Sundelin beugte sich über das Geländer. Die Konstruktion da unten im Wasser kam ihm so bekannt vor. So etwas hatte er schon oft gesehen, aber er konnte sich nicht erklären, wie es dorthin gelangt war.
    »Das ist verdammt merkwürdig«, sagte er. »Das ist ein Rollator.«
    »Ein Rollator? Wie ist der denn im Wasser gelandet?«
    »Komm«, sagte er. »Wir gehen nach Hause.«
    »Liegt da unten etwa auch noch ein Mensch?«, fragte Lily. »Ist jemand von der Brücke gefallen?«
    »Nein, bist du verrückt worden!«, sagte Karsten.
    Er drehte den Wagen um und machte sich mit langen Schritten auf den Heimweg. Lily rannte hinterher. Margrete wachte auf und sah sie aus dunkelblauen Augen an. Dann fing sie an zu jammern. Lily konnte das kaum ertragen, es quälte sie wie Sand in einer offenen Wunde. Sofort legte sie der Kleinen die Hand an die Wange.
    »In diesem Wasserbecken liegt doch immer irgendwas«, sagte Karsten. »Fahrräder. Einkaufswagen. Wahrscheinlich hat den jemand geklaut und ihn dann übers Geländer geworfen. Die Leute machen doch alles Mögliche,

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