Eine undankbare Frau
stark und heiß wie er war. Ich werde mir heute auch etwas vornehmen können, beschloss sie. Vielleicht sollte ich die Gartenmöbel ein wenig ölen, die sind im Laufe des Sommers so furchtbar ausgetrocknet. Ausgiebig und aufmerksam las sie die Berichte über die vielen Tragödien, die sich immer in den armen Teilen der Welt abspielten. Wirbelstürme. Erdbeben. Krieg und abermals Krieg. Sie hob den Kopf und schaute hinaus in den stillen Garten, auf Blumen und Bäume, und es war seltsam, das ausgerechnet ihr dieser friedliche Flecken auf dem Globus zugeteilt worden war, wo nichts Böses passierte.
Mittlerweile war sie auf der Seite mit den Todesanzeigen.
Die studierte sie immer besonders sorgfältig, denn manchmal kannte sie jemanden. Sie registrierte außerdem das Geburtsjahr und stellte fest, dass ihr eigenes sich in schwindelerregendem Tempo näherte. Diejenigen, die ihre Zeit auf Erden aufgebraucht hatten, waren alle um 1930 geboren. Sie selbst war Jahrgang 1939. Aber Gunilla, schimpfte sie mit sich, jetzt mach aber mal einen Punkt. Du sitzt doch hier in der Küche und bist quicklebendig. Die Sonne scheint durch das Fenster und der Kaffee ist stark. Aber dann keuchte sie entsetzt auf. Ihre Augen blieben an ihrem eigenen Namen hängen. Dort stand, schwarz auf weiß, dass Gunilla Mørk gestorben sei, friedlich eingeschlafen. Die Zeitung glitt ihr aus den Händen, sie griff sich an die Brust und bekam plötzlich keine Luft mehr. Nein, sie musste sich verlesen haben. Und wenn nicht, dann gab es wahrscheinlich noch jemand, die auch Gunilla Mørk hieß. Sie schaute sich in der Küche um, wollte sich davon überzeugen, dass alles an Ort und Stelle war und sie nicht dem Wahnsinn verfallen war. Sie saß in ihrer guten alten Küche, umgeben von Töpfen und Pfannen. Dann las sie die Anzeige ein zweites Mal. Alles stimmte, Geburtsjahr und Geburtstag.
»Unsere liebe und fürsorgliche Mutter, Schwiegermutter und Schwester, Gunilla Mørk, geboren am 17.^ Juli1939 , ist heute, am 25.^ Juli, still eingeschlafen.
Es tut gut zu ruhen
wenn die Kräfte versagen
nach Jahren voller Mühen und Plagen.
Einmal kommt
die heilige Nacht
in der die Saiten der Ewigkeit
deine bitterste Qual
zu hundert Geigen geleiten.
Erik und Ellinor. Freunde und Familienmitglieder. Die Beisetzung findet am 1.^ August um 10.30 im Østre Krematorium, kleine Kapelle, statt. Die Trauerfeier wird in der Kapelle abgehalten.
Gunilla Mørk brach am Tisch zusammen.
Sie stieß ihre Kaffeetasse um.
In der Zeitung stand, dass sie tot war.
Da standen auch »Erik und Ellinor«, das waren doch ihre Kinder. Und dieses blöde Gedicht. Es war so unerträglich. Erik und Ellinor hätten niemals etwas so Pompöses, etwas so Schlechtes und Geschmackloses ausgesucht. Im Krematorium, oh mein Gott. Was hatte das zu bedeuten, wer hatte etwas dermaßen Unbegreifliches getan? Konnte der Fehler bei der Zeitung liegen? Das war undenkbar, dann musste die Welt vollständig aus den Fugen geraten sein. Sie sprang auf und lief durch die Küche, blieb vor dem Spiegel über dem Spülbecken stehen. Eine alte Frau starrte sie mit einem Gesichtsausdruck an, den sie noch nie gesehen hatte. Das beunruhigte sie. Alle, die ich kenne, werden diese Anzeige lesen, kam ihr in den Sinn, ich muss sie anrufen. Ich muss Erik und Ellinor anrufen. Sie kehrte an den Tisch zurück und sank erneut auf den Stuhl, hielt sich an der Tischkante fest. Vielleicht bin ich eingenickt und habe geträumt, überlegte sie. Aber das war natürlich Unsinn. Ein drittes Mal las sie ihre eigene Todesanzeige. Sie saß ganz still am Tisch und wurde innerlich eiskalt. Denn irgendjemand hatte sich ausgerechnet sie ausgewählt. Dieser jemand hatte sie in dem Gewimmel aus Menschen gesehen und seine bösen Pläne geschmiedet. Sie wollte aufstehen und zum Telefon gehen, sie wollte so schnell wie möglich Eriks Nummer wählen, der würde wissen, was zu tun war. Aber sie brauchte lange, bis sie aufstehen konnte. Und als sie endlich den Hörer in der Hand hielt, fing sie an zu weinen.
Johnny Beskow schlich sich auf den Flur.
Dort blieb er stehen und horchte, denn jetzt musste er hart sein. Seine Mutter stand offenbar nicht am Herd, denn es roch nicht nach Essen, sondern nach alten Mänteln und Staub und Schimmel. Dann liegt sie wohl auf dem Sofa, vermutete er, und sah auf die Uhr. Es war elf Uhr vormittags, es kam nicht selten vor, dass sie schon vor elf Uhr betrunken war. Einmal hatte er sie um sieben Uhr morgens
Weitere Kostenlose Bücher