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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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überrascht. Sie hatte in einem Sessel gesessen und Wodka in langen Zügen getrunken, während sie sich mit der freien Hand an die Armlehne geklammert hatte. So hatte sie eine Stunde lang gesessen, erst dann war sie wieder ins Bett gegangen. Und so wanderte sie zwischen Sessel und Bett und Sofa und Sessel hin und her. Und irgendwann ins Grab, dachte er, kannst du nicht jetzt schon ins Grab wandern? Ich grabe auch das Loch. Dann kannst du dich ganz einfach über den Rand rollen lassen. Er schlich ins Wohnzimmer, um dort nachzusehen. Doch, da lag sie unter der Decke auf dem Sofa. Also schlich er in sein Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Er nahm Bleeding Heart aus dem Käfig und legte sich mit dem Meerschweinchen in der Halsgrube aufs Bett. Die Leute glauben, was ich sage, dachte er beglückt, ich kann irgendwo anrufen und irgendwas behaupten, oder irgendwas verlangen, und alle tun, was ich sage. Sie sind höflich und freundlich und wollen gern behilflich sein, es ist die pure Magie. Es offenbart mir unvorstellbare Möglichkeiten. Ich kann eine ganze Gemeinde unsicher machen, wurde ihm auf einmal klar, ich kann eine ganze Stadt ins Chaos stürzen, ich brauche nur zu telefonieren, ich brauche nur einen Brief zu schreiben. Das gibt mir Macht. Er spürte, wie ihm die Macht zu Kopf stieg, die Macht rauschte in seinen Adern und machte ihn heiß und stark und groß, auch wenn er eigentlich, streng genommen, ein Schwächling war. Oder wie sie ihn in der Schule genannt hatten: Das Weichei aus Askeland. Nach einer Weile setzte er das Meerschweinchen zurück in den Käfig. Der Käfig war mit Sägespänen und Holzwolle ausgelegt und hatte buntes Plastikspielzeug. Das Geld dafür hatte er von seinem Großvater bekommen. So war das auch mit der Suzuki gewesen. Die war ein Geschenk zu der Konfirmation gewesen, die niemals stattgefunden hatte. Seiner Mutter war es nie gelungen, lange genug nüchtern zu bleiben, um ein Fest vorzubereiten, und es gab ja auch niemanden, den sie hätten einladen können.
    Er spürte, dass er Hunger hatte, und ging in die Küche. Da nichts auf dem Herd stand, nahm er sich Milch aus dem Kühlschrank. Setzte sich an den Küchentisch und aß Müsli, während er aus dem Fenster sah. Seine Mutter würde erst am späten Abend aus ihrem Rausch aufwachen. Dann würde sie ins Badezimmer torkeln, sich eine Bürste durch die Haare ziehen, ins Wohnzimmer torkeln und plötzlich entdecken, dass er da vor dem Fernseher saß. Von diesem Augenblick an, bis er dann schlafen ging, spielte sie ihre Rolle als Mutter. Sie stellte alle möglichen Fragen, wo er gewesen sei und was er gemacht habe. Ob er gegessen habe. Ob er sich nicht bald eine Beschäftigung suchen könne, um zu dem kleinen Haushalt ein wenig Geld beizusteuern. Dann würde sie sich über ihre Kopfschmerzen auslassen, dass die an diesem Tag besonders schlimm gewesen seien, deshalb habe sie sich ein wenig hinlegen müssen. Jetzt gehe es ihr allerdings etwas besser, würde sie hinzufügen. Um sich zu rechtfertigen, dass sie den halben Tag im Koma verbracht hatte.
    Er hatte aufgegessen. Dann spülte er seinen Teller unter dem Wasserhahn ab und ging ins Wohnzimmer, ließ sich in einen Sessel fallen. Die Mutter lag flach auf dem Rücken und hatte sich die Decke bis unters Kinn hochgezogen. Ihre Haut sah feucht aus, als ob sie Fieber hätte. Die Augenlider waren halb geschlossen. Wenn du doch nur tot wärst, dachte er, wenn du doch nur in diesem Moment aufhörtest zu atmen. Wenn du stirbst, werde ich vor Begeisterung in die Hände klatschen, und bei der Beerdigung werde ich singen und tanzen. Und wenn du endlich unter der Erde liegst, werde ich jeden Abend zum Friedhof kommen und auf dein Grab pissen.
    Er hörte nicht auf, ihr in einem gleichmäßigen Strom seine bösen Gedanken zu schicken. Er stellte sich gern vor, dass diese sie erreichten, dass der Hass, den er empfand, sie langsam aber sicher zerfraß, wie ein langsam wirkendes Gift. Er griff nach dem Armeemesser, das an seinem Gürtel hing, spürte, wie das Metall in seiner Hand warm wurde. Ich werde deine Augen durchbohren, dachte er, und deine Trommelfelle zerstechen. Ich werfe dich in die Schubkarre und fahre dich in den Wald, und dann kann der Fuchs kommen und sich bedienen. Und der Dachs und alle Katzen aus der Gegend.
    Er stand wieder auf und lief zurück in die Küche, denn er hatte noch etwas zu erledigen. Er durchwühlte die Schubladen und Schränke. Endlich fand er unter der Bank die alte

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