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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sagte er dann. »Groß wie ein Haus. Ich kann sie zerquetschen. Die können doch Krankheiten übertragen«, sagte er. »Und auf deine Immunabwehr würde ich keine fünf Öre setzen.«
    »Ich auch nicht«, sagte Henry.
    Johnny fand eine alte Zeitung, rollte sie zusammen und schlug zu. Als die Fliege erledigt war, setzte er sich auf den Puff, um aus der Zeitung vorzulesen. Aber er übersprang die Geschichte von der falschen Todesanzeige, die auf der letzten Seite ausgiebig beschrieben wurde. Danach ging er in die Küche und schmierte ihnen Brote. Er belegte die Scheiben mit Wurst und Gurkenscheiben, mischte eine Kanne Saft und warf ein paar Eiswürfel hinein. Dann öffnete er heimlich das Küchenfenster, um ein bisschen zu lüften. Sie aßen schweigend. Henrys Gebiss klickte beim Kauen.
    »Du kriegst ein bisschen Taschengeld von mir«, sagte er. »Fürs Benzin.«
    »Danke, Opa.«
    »Wenn du älter wirst, kannst du ausziehen«, fügte Henry hinzu. »Und dein eigenes Leben führen.«
    »Dafür muss ich Arbeit finden«, erwiderte Johnny.
    Nach einer Weile schlief der alte Mann ein, mit offenem Mund, die Brust voller Krümel. Johnny stand vom Puff auf, drehte eine Runde durch das Wohnzimmer und sah sich die Bilder an der Wand an. Mehrere zeigten ihn als kleinen Jungen, mit kurzer Hose und blonden Haaren und winzigen Turnschuhen mit roten Schnürsenkeln. Ich war bestimmt ein ganz liebes Kind, dachte er. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Schwierigkeiten gemacht hätte. Aber vielleicht war ich schwierig, ohne es zu wissen. Er wühlte in seiner Erinnerung nach schönen Bildern, aber ihm fiel nur das Geräusch von Türen ein, die zugeschlagen wurden. Und die Erinnerung an seine Mutter, die ihm immer den Rücken zugedreht hatte, immer über den Küchentisch gebeugt gestanden hatte und immer unglücklich gewesen war. Ihre Schritte auf dem Boden hatten hart und energisch geklungen, und sie hatte oft Schubladen und Schranktüren zugeknallt. Wie ein ewigwährendes Unwetter, das von Zimmer zu Zimmer zog. Dann sah er sich das Bild seiner Großmutter an, die jung gestorben war und die er nie kennengelernt hatte, sie sah so lieb und sanft aus. Wo kam nur all das Böse her, wann hatte es begonnen zu wachsen? Am Ende der Fotogalerie hing auch eins von ihm mit dem Helm unter dem Arm auf seiner roten Suzuki. In einer kleinen Glasvitrine hatte der Großvater seine Pokale stehen, die er beim Bridge gewonnen hatte, und oben auf dem Bücherregal stand ein ausgestopfter Auerhahn, der ihn aus schwarzen Glasaugen anglotzte. Als kleiner Junge hatte Johnny immer Angst gehabt, der Auerhahn könne sich auf ihn stürzen und mit dem scharfen Schnabel auf ihn einhacken. Er setzte sich wieder auf den Puff, griff nach Henrys Hand und drückte sie vorsichtig. Der alte Mann öffnete die Augen.
    »Na sowas,« sagte der Großvater. »Ich bin ja immer noch hier. Das ist gar nicht so schlecht.«
    »Hast du etwas geträumt?«, fragte Johnny.
    Henry überlegte.
    »Nein, gar nichts.«
    »Erzähl mir, wie es ist, alt zu sein«, bat ihn Johnny.
    Henry Beskow wedelte mit einer Hand und grunzte unzufrieden.
    »Das ist nicht leicht«, sagte er. »Es ist, wie durch Sirup zu schwimmen.«
    »Warum bist du so allergisch gegen Wespen, Opa?«
    »Ich weiß nicht. Es ist eben eine Schwachstelle von mir.«
    »Wie allergisch bist du denn? Reden wir hier von tödlich allergisch?«
    »Ja, haha. Wir reden von tödlich allergisch.«
    »Aber warum stirbst du dann?«, fragte Johnny. »Was passiert?«
    »Mein Hals schwillt zu«, erklärte Henry. »Egal, wo die Wespe mich sticht. Ich kriege keine Luft mehr. Mach das Küchenfenster zu, bevor du gehst«, fügte er hinzu. »Und dann nimm dir zweihundert Kronen aus dem Glas auf dem Küchenschrank. Für Benzin. Und Dinge, die ihr Jungs eben so braucht.«
    Johnny strich ihm über seine runzelige Wange.
    Wortlos fuhr er an Else Meiner vorbei.
    L ily Sundelin blätterte in der Zeitung.
    Aber sie behielt unentwegt Margrete im Auge, die zu ihren Füßen in einer Babywippe lag. Ab und zu versetzte sie der Wippe mit dem Fuß einen kleinen Stoß und brachte sie so behutsam zum Schaukeln, und Margrete erwiderte es mit einem zahnlosen Lächeln. Karsten, der am Esstisch vor einem Kreuzworträtsel saß, beobachtete sie verstohlen. Lily hat sich total verändert, fand er, ihre Stimme war anders und ihre Art, ihn anzusehen.
    Empfindsamer.
    Sie sah von der Zeitung auf.
    »Hast du das über die falsche Todesanzeige gelesen?«
    Karsten legte den

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