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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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was für eine Erleichterung. Sie nahm sich ein letztes Mal die Blume vor, entfernte noch zwei welke Blätter.
    »Jedes Leben hat seinen Kummer«, sagte sie. »Und die jungen Leute müssen sich ja irgendwie die Zeit vertreiben. Das ist wohl die einfachste Erklärung.«
    Plötzlich sah sie ihre Besucher erschrocken an.
    »Ich muss gerade an das Baby draußen in Bjerketun denken«, sagte sie. »Das draußen im Garten geschlafen hat. Gibt es da vielleicht irgendeinen Zusammenhang?«
    »Das wissen wir nicht«, sagte Sejer.
    »Aber es ist schon seltsam«, sagte sie. »Es ähnelt sich doch irgendwie. Vielleicht hat irgendein Verrückter es sich in den Kopf gesetzt, uns allen eine Sterbensangst einzujagen.«
    »Wir dürfen solche Schlüsse nicht ziehen«, sagte Sejer. »Dazu ist es noch zu früh.«
    Sie ging zur Spüle und öffnete eine Tür. Dann ließ sie die welken Blätter in den Abfalleimer fallen.
    »Ich mache mir eben so meine Gedanken«, sagte sie. »Es war doch auch eine Todesankündigung.«
    »Ist in den letzten beiden Tagen sonst noch etwas geschehen, was Sie uns erzählen könnten?«, fragte Sejer. »Hat ein Unbekannter angerufen oder an der Tür geklingelt? Fällt Ihnen etwas Ungewöhnliches ein?«
    Sie überlegte und zuckte mit den Schultern.
    »Nichts, was ich ungewöhnlich gefunden hätte«, antwortete sie. »Ellinor kommt oft vorbei. Und eine Freundin besucht mich jede Woche. Wir essen dann zusammen zu Mittag. Und manchmal klingeln auch Vertreter an der Tür. Vor ein paar Tagen stand hier ein junger Mann auf der Treppe und suchte Arbeit. Ein Student aus Polen, sagte er, er wolle Geld verdienen. Aber ich war noch so fassungslos wegen der Anzeige, dass ich ihn ziemlich unhöflich weggeschickt habe. Das bedauere ich jetzt ein wenig, denn er hatte mir doch nichts getan. Er sprach sehr schlecht Englisch«, fügte sie hinzu. »Darum hatte er die wichtigsten Angaben über sich auf einen alten Pizzakarton geschrieben.«
    D ie Leute hatten angefangen, ihm die unterschiedlichsten Spitznamen zu geben.
    Sowohl in den Zeitungsredaktionen als auch im Volksmund, und ein Name war phantasievoller als der andere. Geliebtes Kind hat viele Namen, dachte Johnny Beskow, als er entdeckte, wie die Leute ihn nannten. Jetzt war er endlich jemand und die Leute konnten ihn nicht mehr ignorieren. Er war voller Freude über dieses Spiel, das er in Gang gesetzt hatte. Ich werde lange mit euch spielen, dachte Johnny Beskow. Wartet nur ab.
    Er fuhr auf der roten Suzuki durch die Siedlungen und beobachte die Menschen mit der Faszination eines Forschers, als wären es exotische Tiere. Er fand sie seltsam. Es war Spätsommer, und die Menschen hielten sich viel in ihren Gärten auf. Er sah kleine Kinder auf dem Trampolin, Frauen, die Unkraut jäteten, Männer, die in ihrer Auffahrt den Wagen wuschen. Ein Mann hockte vor einem Lattenzaun und strich ihn mit Farbe an. Eine Frau nahm frischgewaschene Wäsche von der Leine. Das mochte er. Ihm gefiel das Gewimmel von Menschen, die weiße Wäsche, die im Wind flatterte, der Geruch von frischer Farbe. Es gefiel ihm und er wollte es zerstören. Sie alle leben an einem Abgrund, lächelte er in sich hinein, und ich werde sie hinunterstoßen.
    Nachdem er eine ganze Zeit durch die Villenviertel gefahren war, steuerte er das Einkaufszentrum in Kirkeby an. Er stellte das Moped ab und fuhr mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock zum Spielwarenladen. Lange schlenderte er zwischen den Regalen hin und her und nahm das ein oder andere Spielzeug heraus, um es sich genauer anzusehen. Dabei kam das Kind in ihm zum Vorschein. Die stille Freude über ein schönes Spielzeug, über geschickte Verarbeitung oder witzige Funktionen. Lange bewunderte er einen roten Sportwagen. Eine Tüte mit afrikanischen Tieren aus Kunststoff, Schachteln voller Lego oder Playmobil. Nach einer ganzen Weile fand er, was er gesucht hatte. Masken. Er hob eine nach der anderen hoch und sah sie sich genauer an. Eine Gorillamaske, eine Donald Duck-Maske und eine Schweinsmaske. Die Masken waren aus Latex, sie waren weich und fühlten sich gut an. Er hielt sich die Gorillamaske vor das Gesicht, sah durch die kleinen Augenschlitze. Ein Gorilla, dachte er. Der macht doch bestimmt Eindruck. In einem anderen Regal lagen Stofftiere. Vor allem Teddys, aber er fand auch ein Schwein und ein Häschen. Er nahm das Häschen aus dem Regal. Es war aus weißem Plüsch und hatte eine rosa Schnauze mit langen feinen Schnurrhaaren, es war so ein Tier, in das kleine

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