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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sicherheitshalber losgegangen. Das ist doch kein Junge da unter der Plane, hoffe ich? Oder? Ist das ein Junge?«
    Er blieb stehen und wartete auf Antwort.
    Gleich werden sie schreien, dachte Sejer. Sie werden schreien, bis der Himmel aufreißt, schreien, bis uns die Ohren wehtun.
    Ihm war schwindlig und er musste einen Schritt zur Seite machen, um nicht zu stolpern. Verdammt, warum hörte das nur nicht auf?
    »Wir haben einen kleinen Jungen gefunden«, sagte er langsam.
    Er sah zu seinen Kollegen. Die standen mit ernster Miene da und folgten dem Geschehen. Dass die Eltern des Jungen nur wenige Meter von ihnen entfernt waren, machte ihnen sehr zu schaffen.
    »Es könnte Theo sein«, sagte Sejer. »Aber was genau mit ihm passiert ist, können wir noch nicht sagen.«
    »Aber der Krankenwagen«, stammelte Wilma. »Da steht doch ein Krankenwagen. Ist er denn verletzt? Warum ist er zugedeckt? Können Sie mir bitte sagen, was hier los ist?«
    Sejer legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er hatte sich noch nie so elend und unzulänglich gefühlt, er hatte noch nie etwas so Schreckliches gesehen.
    »Der Junge, den wir gefunden haben, ist tot«, sagte er.
    Wilma riss sich von Hannes los und wollte auf die Plane zu laufen, aber Sejer hielt sie zurück. Dann brach sie zusammen und blieb auf dem Waldweg liegen, schlug um sich, wollte wieder aufstehen, aber ihre Knie gehorchten ihr nicht.
    Hannes Bosch wollte die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht irrten sie sich alle. Im Wald waren so viele Menschen unterwegs, da konnte man sich nicht sicher sein. Er starrte die grüne Plane an. Griff dann nach seinem Handy in der Hemdentasche. Er tippte eine Nummer ein, hielt sich das Telefon ans Ohr und starrte unentwegt Jacob Skarre an, der nach wie vor Theos Telefon in der Hand hielt.
    Sekunden später ertönte die leise Melodie.
    Joy to the world, the Lord is come. Let earth receive her King.
    Sie wurden zum Einsatzwagen gebracht und weggefahren, eine Beamtin begleitete sie. Die Techniker gingen an die Arbeit. Es wurden etliche Fotos gemacht. Skarre lief auf dem Waldweg auf und ab. Ab und zu schüttelte er den Kopf, als würde er mit seiner inneren Stimme diskutieren. Dann fragte er Snorrason: »Wie lange war er am Leben?«
    Der Rechtsmediziner, der neben dem verstümmelten Leichnam hockte, sah mit gequältem Blick zu ihm hoch.
    »Kann ich nicht sagen«, murmelte er. »Noch nicht.«
    »Aber Hunde gehen doch sofort an die Kehle, oder?«, fragte Skarre. »Es besteht doch die Möglichkeit, dass er sehr schnell tot war?«
    »Ja, die besteht.«
    »Was sollen wir tun, wenn die Eltern ihn sehen wollen?«
    »Dann können wir nur noch beten«, sagte Snorrason.
    Sejer kam langsam auf sie zu, seine Beine waren bleischwer.
    »So etwas Schreckliches hab ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen«, sagte er. »Wir müssen unbedingt herausfinden, wem diese Köter gehören.«
    B jørn Schillingers Haus stand oben auf dem Sagatoppen.
    Es war ein geräumiges rotes Haus mit einem etwa fünfzig Quadratmeter großen Nebengebäude, das Anwesen sah ländlich und einladend aus. Hinter dem Haus erhob sich dichter Wald, Schillinger kannte jeden Baum und alle Wege. Einer führte nach Saga, einer nach Glasverket, ein dritter zum Snellevann und zum Svarttjern. Er war diese Wege schon so oft gegangen, war als kleiner Junge dort entlang gerannt und als Erwachsener durch den Wald gejoggt, um in Form zu bleiben. Vor dem Haus erstreckte sich ein offener Hofplatz. Schillinger hatte eigenhändig einen Tisch und zwei Stühle gezimmert, damit man an schönen Tagen dort sitzen konnte. So wie jetzt, in der tiefstehenden Septembersonne, in der alles schön und warm und golden aussah. Er fuhr in seinem goldfarbenen Landcruiser den steilen Hang zu seinem Haus hinauf und summte vor sich hin. Das Leben ist gar nicht so übel, dachte er bei sich, so alles in allem. Und das, obwohl seine Frau Evy ihn erst vor kurzem verlassen hatte. Denn das Junggesellendasein war ganz bequem, auch wenn er den Gürtel ein bisschen enger schnallen musste. Aber das betrübte ihn nicht weiter. Er war Herr über seine Zeit und warf anderen Frauen gierige Blicke hinterher, wie es ihm gefiel. Er war oft mit seiner kleinen Tochter June zusammen, die er über alles liebte. Gerade kam er von ihrem Geburtstagsfest, von Singspielen und Schokoladenkuchen und Himbeerlimonade. June, die sechs geworden war, hatte ein rotes Kleid mit weißen Tupfen getragen, und er hatte sie geneckt und gesagt, sie sehe aus wie ein

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