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Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)

Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)

Titel: Eine unerwartete Erbschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen McQuestion
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aber ich habe das doch nicht wirklich gewollt.‹«
    »Hubert, das ist ja furchtbar deprimierend!« Ich streifte die Schuhe ab und wackelte mit den Zehen. »Warum liest du es, wenn es so traurig ist?«
    »Es ist ja nicht nur traurig«, entgegnete er. »Deine Tante hatte ein erfülltes Leben – mit guten und schlechten Dingen –, aber traurige Momente gehören im Leben nun mal dazu.«
    »Das kannst du laut sagen«, erwiderte ich missmutig. Ich drehte mich auf dem Stuhl zur Seite, um mehr Platz zu haben, griff unter das Kleid, zog nacheinander die Strümpfe aus und drapierte sie über die Stuhllehne. Was für eine Erleichterung! Der Gummiabschluss hatte Rillen in meine Oberschenkel gedrückt. Ich rieb mit den Fingern darüber, aber nichts passierte. War ja klar, dass ich als Ergebnis eines eleganten Ausgehabends dauerhaft verunstaltet enden würde! Ich massierte die Einkerbungen, was den unglücklichen Effekt hatte, dass sie sich noch stärker ausprägten. Ich sah auf und bemerkte, dass Hubert mich fasziniert anstarrte.
    »Brauchst du Hilfe?«
    »Nein, ich ...« Ich merkte, dass ich das Kleid fast bis zum Schritt hochgezogen hatte. »Ich musste nur einfach diese Strümpfe loswerden. Die haben mich verrückt gemacht.«
    »Bist du betrunken, Lola?«
    »Ein bisschen.« Ich zog das Kleid über die Knie.
    Hubert musterte mich aufmerksam. »Ein bisschen?«
    »Ich habe etwas Wein getrunken.«
    »Wie viel Wein? Viel?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe den Überblick verloren.«
    »Das ist viel.«
    »Ich glaube, das meiste ist aber schon wieder abgebaut.« Warum wirkte er so amüsiert?
    »Also, was ist schief gelaufen bei deiner Verabredung?«
    »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber nicht darüber reden.«
    »Nicht mal eine Andeutung? Das Essen war schlecht oder das Auto ist liegen geblieben oder der Typ war ein Arschloch? Das war es, oder? Der Typ war ein Arschloch.«
    »Ich habe gesagt, ich will lieber nicht darüber reden.«
    »Komm schon, so schlecht kann es doch nicht gewesen sein, oder?«
    Und da musste ich plötzlich weinen. Zuerst dachte ich nur, ich müsste viel blinzeln, eine Art psychologischer Impuls, als würde ich Ryans böses Gesicht aus meiner Erinnerung wegwischen wollen, als er mir sagte, nun sei es zu spät. Oder als wollte ich den Gedanken wegwischen, dass ich nächste Woche dreißig wurde und der einzige Diamantring, den ich je getragen hatte, geliehen gewesen war und bald in billige Manschettenknöpfe umgetauscht würde. Vielleicht wurden meine Augen auch deshalb feucht, weil ich müde war und zu viel Wein getrunken hatte und weil meine Tante tot war und ich sie nie richtig kennengelernt hatte und Hubert sie geliebt hätte. Es gab so viele gute Gründe, warum mir die Tränen in die Augen schossen. Und was immer es war – sobald es angefangen hatte, hörte es nicht wieder auf.
    Hubert wirkte bestürzt. »O nein, Lola, bitte nicht weinen. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht drängen. Ich werde es nie wieder erwähnen.«
    Ich wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht. »Es ist ja nicht deine Schuld«, sagte ich und versuchte, mein Schluchzen zu unterdrücken.
    »Nein, das sagst du nur, weil du nett sein willst. Natürlich ist es meine Schuld. Es tut mir leid.«
    Es bestand die Gefahr, dass wir in diesen seltsamen Kreislauf gerieten, bei dem er sich schlecht fühlte, weil es mir schlecht ging, und ich mich dann schlecht fühlen würde, weil es ihm wegen mir schlecht ging. So würde es immer weiter gehen. »Vergiss es einfach«, schniefte ich. »Es ist nichts.«
    Hubert lehnte sich vor und sah mich besorgt an. »Es ist bestimmt nicht nichts, wenn du dermaßen durcheinander bist.« Er breitete die Arme aus. »Komm her.« Und dann war es das Leichteste von der Welt, aufzustehen und sich auf seinen Schoß zu kauern. »Na also«, sagte er und streichelte meinen Rücken. Ich lehnte mich gegen seinen Oberkörper und schloss die Augen. Das Gefühl seiner Hand zwischen meinen Schulterblättern war beinahe hypnotisch. Meine Atmung verlangsamte sich und ich merkte, wie ich mich immer mehr entspannte. Was für ein lieber Kerl! »Siehst du«, meinte er nach ein paar Minuten, »alles wird wieder gut.« Was für ein angenehmer, tröstender Mann! Ich konnte verstehen, warum Viertklässler ihn als Lehrer liebten. »Und du bist sicher, dass du nicht erzählen willst, was los ist? Man kann nie wissen – vielleicht hilft es ja?«
    »Das ist zu kompliziert.« Ich spürte, wie seine Fingerspitzen kleine

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