Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
den Papierkorb neben meinem Schreibtisch zu werfen. Zum Glück hatte ich die Konvention missachtet und Huberts selbstgebackene Haferplätzchen als Erstes gegessen, sonst hätte ich womöglich noch Krümel zwischen den Zähnen gehabt.
»Hallihallo.« Lächelnd kam er auf mich zu. Alles an ihm, von der Stimme bis zum Schnitt seines maßgeschneiderten Hemdes, machte seine Anwesenheit zum reinen Vergnügen. »Heute ganz allein?«
»Im Moment, ja.« Ich strahlte ihn an. »Die anderen sind mittagessen gegangen.« Ich stand auf und er nahm meine beiden Hände in seine, wie in einem Kinofilm. Fast wünschte ich, meine Kollegen wären doch da – Mrs. Kinkaid hätte sich gefreut, auch wenn Drew vermutlich weniger begeistert gewesen wäre. »Was führt dich her?«
»Du natürlich«, erwiderte er und gab mir einen kurzen Kuss auf die Wange. »Ich bin gerade wiedergekommen – tatsächlich komme ich direkt vom Flughafen – und hatte gehofft, dich zu erwischen, bevor du andere Pläne für das Wochenende machst.« Sein Aftershave roch toll, genau wie früher das Barbiergeschäft, in das mein Vater ging, als ich noch klein war.
»Nein, keine Pläne.« In seinem Gesicht blitzte etwas auf, ein wissender Blick, als hätte er genau gewusst, dass ich nichts vorhaben würde, und ich bedauerte, immer verfügbar zu sein. Es ließ mich erbärmlich erscheinen. »Zumindest nichts, das ich nicht umarrangieren könnte.« Bei genauerem Nachdenken fiel mir ein, dass ich am Samstag doch etwas vorhatte. »Allerdings muss ich morgen Nachmittag mit meiner Schwester und ihrer ersten Brautjungfer einkaufen gehen. Kannst du dir vorstellen, dass wir die Kleider nur eine Woche vor der Hochzeit kaufen? Wir kaufen sie von der Stange. Das heißt«, korrigierte ich, »eigentlich sind sie schon ausgesucht und reserviert. Ich muss nur mit ins Geschäft gehen, meines anprobieren und kaufen. Ich habe Mindy gesagt, sie könne das ruhig allein machen, aber sie besteht darauf, dass wir zusammen losziehen. So ist sie eben.« Das war viel zu viel Information, wie mir sofort klar wurde, aber es sprudelte einfach so aus mir heraus. Doch nach dem, wie Ryan mich ansah, fand er es nicht überflüssig, sondern faszinierend.
»Du musst mir dann sagen, welche Farbe dein Kleid hat, damit ich mich darauf abstimmen kann«, erwiderte er. »Zumindest meine Krawatte.«
Oh, wie bei Promi-Paaren! Wie süß!
»Dann geht es Samstag also nicht«, sagte Ryan. »Wie wäre es mit heute?«
»Oh, heute ginge in jedem Fall. Ich wollte sowieso früher Schluss machen und in ungefähr einer Stunde gehen.« Das stimmte überhaupt nicht und ich wunderte mich selbst, wie leicht mir die Lüge über die Lippen kam. Lügen konnte offenbar schnell zur Gewohnheit werden.
»Perfekt. Ich fahre dann nur eben noch nach Hause, packe meinen Koffer aus und springe unter die Dusche.« Er hielt kurz inne, um mir die Chance zu geben, mir seinen eingeseiften Körper unter dem pulsierenden Wasserstrahl vorzustellen. »Dann treffen wir uns um ... sagen wir ...« Er sah auf die Uhr. »Halb zwei?«
»Passt mir wunderbar.« Ich bekam schlagartig bessere Laune.
»Bei dir oder bei mir?«
Ich überhörte geflissentlich den zweideutigen Subtext dieser Frage. »Du kannst mich abholen, sobald du fertig bist«, antwortete ich.
Bevor er ging, umarmte Ryan mich noch kurz – eine absolut korrekte Geste für den Arbeitsplatz.
Nachdem er weg war, schrieb ich eine kurze Notiz, dass ich wegen plötzlicher heftiger Kopfschmerzen leider verfrüht gehen müsse, und klebte sie an Mrs. Kinkaids Bildschirm. Ohne mich würde hier am Nachmittag sicher nicht mehr viel gearbeitet werden – vielleicht würden die anderen beiden meinem Beispiel folgen und ebenfalls früh gehen –, aber darüber wollte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Ryan war zurück. Er war direkt vom Flughafen aus hierher gefahren, um mich zu sehen. Mich und sonst niemanden. Es fühlte sich gut an, wenn er mich berührte, und wir konnten uns gut unterhalten. Er war der Inbegriff des perfekten Gentlemans, von seinem höflichen Verhalten bis hin zu den gebügelten Hosen und polierten Schuhen. All meine Bedenken wegen seiner unterschwelligen Aufforderung zum Sex verflüchtigten sich.
Zu Hause zog ich mich schnell um: eine Caprihose, Trägerhemdchen und eine dünne Jacke. Als Schuhe wählte ich
ein neues Paar Sandaletten zum Reinschlüpfen mit niedrigem Pfennigabsatz. Nach einem Blick in den Spiegel gab ich mir mindestens eine Zwei für einen
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