Eine Unheilvolle Liebe
dafür.« Ich versuchte, meine Frage so beiläufig wie möglich zu stellen.
»Natürlich, allerdings herrscht da oben das reinste Chaos.« Tante Caroline nahm den leeren Teller. »Ich muss jetzt ein paar Anrufe erledigen und den Polizeibericht ausfüllen. Also, falls du mich brauchst, ich bin hier unten.«
Tante Caroline hatte recht, auf dem Dachboden herrschte Chaos. Überall lagen Kleider und Unterlagen verstreut. Jemand hatte sämtliche Kisten auf einen großen Haufen gekippt. Liv sammelte einige der herumliegenden Papiere auf.
»Wie zum …« Link warf einen verlegenen Blick auf Tante Del. »Ich wollte sagen, wie um alles in der Welt sollen wir hier etwas finden? Wonach suchen wir überhaupt?« Er trat so heftig gegen einen leeren Karton, dass er davonflog.
»Nach allem, was meiner Mutter gehört haben könnte. Irgendjemand hat hier nach etwas ganz Bestimmtem Ausschau gehalten.«
Jeder begann, eine andere Ecke des Haufens zu durchwühlen.
Tante Del stieß auf eine Hutschachtel mit Patronenhülsen und Gewehrkugeln aus dem Bürgerkrieg. »Da war einmal ein hübscher Hut drin.«
Ich hob einen alten Schuljahresbericht meiner Mutter auf und eine Beschreibung des Schlachtfelds von Gettysburg. Es war bezeichnend, wie zerschlissen die Schlachtfeldbeschreibung war, verglichen mit dem Jahresbericht. Typisch meine Mutter.
Liv kniete über einem Stapel Papier. »Ich glaube, ich habe was gefunden. Es sieht jedenfalls so aus, als hätte es deiner Mutter gehört, aber ich nehme nicht an, dass es wichtig ist – es sind alte Zeichnungen von Ravenwood Manor und ein paar Notizen zur Geschichte Gatlins.«
Alles, was mit Ravenwood zu tun hatte, war interessant. Liv gab mir die Papiere und ich überflog sie. Es waren Aufzeichnungen aus dem Bürgerkrieg, vergilbte Ansichten von Ravenwood Manor und von anderen alten Gebäuden der Stadt – von der Historischen Gesellschaft, dem alten Feuerwehrhaus, sogar von unserem Haus Wates Landing. Trotzdem konnte ich nicht allzu viel damit anfangen.
»Komm her, miez, miez. Seht mal, ich hab einen Freund für …« Link hob eine Katze auf, ließ sie aber gleich wieder fallen, als er bemerkte, dass sie ausgestopft war und ein schäbiges schwarzes Fell hatte. »… für Lucille.«
»Es muss noch etwas anderes da sein. Derjenige, der die Sachen durchwühlt hat, war ganz sicher nicht an Aufzeichnungen aus dem Bürgerkrieg interessiert.«
Liv zuckte ratlos mit den Schultern. »Vielleicht hat der Einbrecher gefunden, was er suchte.«
Ich sah Tante Del an. »Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.«
Ein paar Minuten später saßen wir alle mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden wie bei einem Lagerfeuer. Oder bei einer Séance zur Geisterbeschwörung.
»Ich weiß wirklich nicht, ob das eine gute Idee ist«, sagte Tante Del.
»Es ist die einzige Möglichkeit zu erfahren, wer hier eingebrochen ist und warum.«
Tante Del nickte, aber ganz überzeugt war sie nicht. »Nun gut. Denkt daran: Wenn euch schlecht wird, legt den Kopf auf die Knie. Und jetzt fasst euch bei den Händen.«
Link murmelte entgeistert: »Was faselt sie denn da? Wieso sollte uns schlecht werden?«
Ich nahm Livs Hand und schloss den Kreis. Ihre Hand lag weich und warm in meiner. Aber noch ehe ich ins Grübeln verfallen konnte, weil wir beide Händchen hielten, tauchten plötzlich Bilder vor mir auf …
Ein Bild kam nach dem anderen – wie wenn sich Türen öffneten und wieder schlossen. Jedes Bild rief ein weiteres hervor, sie folgten aufeinander wie Dominosteine oder wie die Bilder der Daumenkinos, die ich als kleines Kind so gerne angesehen hatte.
Lena, Ridley und John kippen Kisten auf dem Dachboden aus …
»Es muss hier sein. Sucht weiter.« John wirft alte Bücher achtlos auf den Boden.
»Woher willst du das so genau wissen?« Lena greift in eine Schachtel, ihre Hände sind mit schwarzen Mustern bemalt.
»Sie wusste, wie man sie findet, sogar ohne den Stern.«
Eine andere Tür öffnete sich. Tante Caroline, sie schiebt Kisten auf dem Speicher hin und her. Sie kniet sich vor eine Schachtel, in der ein altes Foto meiner Mutter liegt; sie streicht mit der Hand über das Bild und schluchzt.
Die nächste Tür. Meine Mutter, ihre Haare fallen locker auf ihre Schultern, nur zurückgehalten von der roten Lesebrille, die sie wie ein Haarband hochgeschoben hat. Ich sehe sie so deutlich, als stünde sie leibhaftig vor mir. Hastig schreibt sie etwas in ein abgegriffenes ledernes Tagebuch. Dann reißt sie
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