Eine Unheilvolle Liebe
Geburtstag hatte ich keinen solchen Traum mehr gehabt, und ich fragte mich, wieso die Träume ausgerechnet jetzt wiederkamen. Ich hatte mich fast schon daran gewöhnt, aufzuwachen und Schlamm in meinem Bett oder Rauch in meinen Lungen zu haben, aber es war das erste Mal, dass ich aufwachte und Schmerzen hatte. Ich versuchte, nicht daran zu denken und mir stattdessen einzureden, es wäre in Wirklichkeit gar nichts passiert. Aber der Schmerz pochte in meinem Bauch. Ich sah zum geöffneten Fenster und wünschte mir, Macon käme vorbei und würde mir diesen Traum stehlen. Es gab viele Gründe, weswegen ich mir wünschte, er wäre noch da.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich darauf, herauszufinden, ob Lena da war. Dabei wusste ich längst, dass sie es nicht war. Ich spürte es, wenn sie sich mir entzog, und das geschah oft in der letzten Zeit.
Amma rief wieder vom Treppenabsatz hoch. »Falls du vorhast, zu deiner letzten Prüfung zu spät zu kommen, dann wirst du den Sommer über auf deinen hübschen vier Buchstaben im Zimmer sitzen bleiben. Das garantiere ich dir.«
Vom Fußende meines Betts schaute mir Lucille Ball interessiert entgegen. Das machte sie nun beinahe jeden Morgen. Nachdem sie vor unserer Haustür aufgetaucht war, hatte ich sie zu Tante Mercy zurückgebracht, aber am nächsten Tag saß sie wieder auf unserer Veranda. Daraufhin überzeugte Tante Prue ihre Schwestern, dass Lucille ein unverbesserlicher Deserteur sei, und die Katze zog bei uns ein. Ich war ziemlich überrascht, als Amma die Tür aufmachte und die Katze hereinspazieren ließ, aber sie hatte offenbar ihre Gründe. »Ist gar nicht so schlecht, eine Katze im Haus zu haben. Sie sehen, was viele Menschen nicht sehen. Zum Beispiel die aus der Anderwelt, wenn sie zu uns zurückkommen – die Guten wie auch die Bösen. Außerdem fangen sie Mäuse.« Man könnte sagen, Lucille war die tierische Ausgabe von Amma.
Unter der Dusche wusch das heiße Wasser alles von mir ab. Alles außer der Narbe. Ich stellte das Wasser noch heißer, aber ich konnte mich nicht aufs Duschen konzentrieren. Ich war gefangen in meinen Träumen, in den Gedanken an das Messer, das Lachen …
Meine Abschlussprüfung in Englisch.
Mist.
Ich war am Abend zuvor eingeschlafen, ehe ich mit dem Lernen fertig gewesen war. Wenn ich die Prüfung vermasselte, würde ich das ganze Schuljahr vermasseln – egal ob ich auf der Glasaugen-Seite von Mrs English saß oder nicht. In diesem Jahr waren meine Noten nicht gerade berauschend gewesen, sprich, ich lag gleichauf mit Link. Diesmal war es nicht wie sonst, wenn ich trotz meiner Faulheit immer irgendwie durchgekommen war. Ich stand schon in Geschichte auf der Kippe, weil ich das obligatorische Nachstellen der Schlacht von Honey Hill an Lenas Geburtstag hatte sausen lassen. Wenn ich auch noch in Englisch durchrasselte, würde ich den ganzen Sommer in der Schule verbringen, die so alt war, dass sie nicht einmal eine Klimaanlage hatte, oder ich müsste die Klasse komplett wiederholen. Das waren die Probleme, mit denen wir Normalsterblichen uns an einem Tag wie diesem eben herumschlagen mussten. Wie hieß das gleich noch mal? Assonanz? Oder war es Konsonanz? Verdammt, ich war komplett aufgeschmissen.
Heute war schon der fünfte Frühstücken-bis-ich-platze-Tag. Unsere Abschlussprüfungen zogen sich über die ganze Woche, und Amma war überzeugt davon, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Menge, die ich in mich hineinstopfte, und der Qualität meiner Prüfungsnoten bestand. Seit Montag hatte ich mein eigenes Gewicht in Schinken und Ei verspeist. Kein Wunder, dass mein Magen rebellierte und ich Albträume hatte. Wenigstens redete ich mir das ein.
Ich stocherte mit der Gabel auf dem Teller herum. »Schon wieder Ei?«
Amma kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, aber ich warne dich, ich bin nicht in der Stimmung.« Sie schaufelte mir noch ein Spiegelei auf den Teller. »Strapazier meine Geduld heute nicht, Ethan Wate.«
Ich hatte keine Lust, mit ihr zu streiten. Ich hatte auch so schon genug Probleme.
Mein Vater kam in die Küche, öffnete den Schrank und suchte seine Weizenflocken. »Ärgere Amma nicht. Du weißt, sie mag das nicht.« Er sah sie an und fuchtelte mit dem Löffel herum. »Mein Junge ist ausgesprochen R.E.N.I.T.E.N.T.«
Amma bedachte ihn mit einem scharfen Blick und schlug die Schranktür zu. »Mitchell Wate, ich zieh dir das Fell über die Ohren, wenn du nicht endlich damit
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