Eine Unheilvolle Liebe
eigenen Phasen der Trauer. Das ist nicht mein Tagebuch, in das ich meine Gefühle schreibe. Ich bin nicht dein Vater und ich bin nicht du, Ethan. Wir sind uns nicht so ähnlich, wie du glaubst.«
Wir sahen einander an, wie wir uns schon lange nicht mehr, vielleicht noch niemals angesehen hatten. Mir fiel auf, dass wir uns die ganze Zeit über laut unterhielten, ohne Kelting. Zum ersten Mal wusste ich nicht, was sie dachte, und es war offensichtlich, dass auch sie nicht wusste, wie mir zumute war.
Doch dann begriff sie es. Sie streckte die Arme aus und drückte mich an sich. Denn diesmal war ich es, der weinte.
Als ich nach Hause kam, waren schon alle Fenster dunkel. Ich ging nicht sofort ins Haus. Ich setzte mich auf die Veranda und sah den tanzenden Glühwürmchen zu. Ich wollte niemanden sehen. Ich wollte nachdenken, und ich hatte das Gefühl, dass Lena mich nicht hören würde. Wenn man allein in der Dunkelheit sitzt, dann bekommt man einen Eindruck davon, wie groß die Welt tatsächlich ist und wie tief die Kluft, die jeden Einzelnen von uns von den anderen trennt. Die Sterne scheinen zum Greifen nahe, aber man erreicht sie nicht. Manchmal kommt einem alles näher vor, als es in Wirklichkeit ist.
Ich starrte ins Dunkel, bis es mir vorkam, als bewege sich etwas bei der alten Eiche in unserem Vorgarten. Einen Moment lang schlug mein Herz schneller. Die meisten Leute in Gatlin schlossen nicht mal die Türen ab. Dabei gab es viele Dinge, gegen die ein Türriegel ohnehin nichts ausrichtete. An der Stelle neben der Eiche flirrte die Luft wie über einer heißen Straße. Aber da war niemand, der in unser Haus einbrechen wollte. Im Gegenteil, da war jemand, der aus einem anderen Haus ausgebrochen war.
Es war Lucille, die Katze der Schwestern. Ich sah ihre blauen Augen leuchten, als sie auf die Veranda stolzierte.
»Ich hab immer gesagt, dass du früher oder später nach Hause findest. Du bist nur im falschen Haus gelandet.« Lucille legte den Kopf schief. »Die Schwestern werden dich jetzt nie wieder von der Leine lassen, das ist dir hoffentlich klar.«
Lucille sah mich an, als hätte sie jedes Wort genau verstanden; als hätte sie von vornherein gewusst, welche Folgen es haben würde, wenn sie weglief, es aber aus irgendwelchen Gründen trotzdem getan. Ein Glühwürmchen tauchte vor mir auf und Lucille sprang von der Verandatreppe.
Es flog immer höher, aber die Katze versuchte trotzdem, es zu fangen. Sie schien nicht zu begreifen, wie weit weg es in Wirklichkeit war. So wie die Sterne. So wie vieles.
Das Mädchen meiner Träume
12.6.
Es war dunkel. Ich sah gar nichts, aber ich spürte, wie die Luft aus meinen Lungen gepresst wurde. Ich rang nach Atem. Die Luft war voller Rauch und ich hustete, würgte.
Ich hörte ihre Stimme, aber sie kam von weit her.
Um mich herum war es heiß. Es roch nach Asche und nach Tod.
Nein, Ethan!
Über mir sah ich ein Messer aufblitzen und ich hörte ein heimtückisches Lachen. Sarafine. Ihr Gesicht sah ich jedoch nicht.
Als sie das Messer in meinen Bauch rammte, wusste ich wieder, wo ich war.
Ich war in Greenbrier, auf dem Dach der Gruft, und ich starb.
Ich wollte schreien, aber ich brachte keinen Ton heraus. Sarafine warf den Kopf in den Nacken und lachte, mit der Hand hielt sie noch immer das Messer fest, das in mir steckte. Ich starb und sie lachte. Ich lag in einer Lache meines eigenen Bluts, es floss aus meinen Ohren, aus meiner Nase, aus meinem Mund. Es hatte einen eigentümlichen Geschmack, es schmeckte nach Kupfer oder Salz.
Meine Lungen fühlten sich an wie zwei Zementsäcke. Als das Rauschen des Bluts in meinen Ohren ihre Stimme erstickte, spürte ich nur noch das allzu vertraute Gefühl von Verlust. Grün und Gold. Zitrone und Rosmarin. Ich nahm den Duft wahr trotz des Geruchs von Blut, Rauch und Asche. Lena.
Ich hatte immer gedacht, ohne sie könnte ich nicht leben. Jetzt musste ich es nicht mehr.
»Ethan Wate! Warum höre ich das Wasser in der Dusche noch nicht laufen?«
Ich fuhr schweißnass in meinem Bett hoch. Benommen griff ich unter mein T-Shirt, strich über meine Haut. Nirgends war Blut, aber ich spürte deutlich die Stelle, wo mich das Messer im Traum getroffen hatte. Ich schob das T-Shirt hoch und starrte auf die gezackte rote Linie. Eine Narbe wie von einer Stichwunde zog sich über meinen Bauch. Sie war aus dem Nichts gekommen und stammte von einer Verletzung, die ich geträumt hatte.
Sie war nicht nur da, sondern tat auch weh. Seit Lenas
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