Eine Unheilvolle Liebe
den anderen Lebenslänglichen, die in Bio durchgefallen sind, Frösche sezieren musst.« Die Lebenslänglichen waren Schüler, die schon seit Urzeiten an der Schule waren und es irgendwie nie bis zum Abschluss schafften. Das waren die Typen, die noch Jahre später ihre Schuluniformjacken trugen, wenn sie schon längst im Stop&Steal schufteten.
»Du musst gerade reden. Kann man einen langweiligeren Ferienjob haben als deinen? In der Bibliothek.«
»Ich könnte dir mit ’nem Buch aushelfen, aber dazu müsstest du erst lesen lernen.«
Link kriegte es einfach nicht in den Kopf, dass ich im Sommer in der Bibliothek bei Marian arbeiten wollte, aber das störte mich nicht. Ich hatte Fragen über Fragen, was Lena, ihre Familie und Lichte und Dunkle Caster anging. Weshalb hatte sich Lena an ihrem sechzehnten Geburtstag nicht entscheiden müssen? Durfte sie es sich wirklich selbst aussuchen, ob sie Licht oder Dunkel werden wollte? War alles so einfach? Das Buch der Monde war verbrannt, daher war die Lunae Libri der einzige Ort, an dem ich die Antwort auf diese Fragen finden konnte.
Und dann hatte ich noch jede Menge anderer Fragen. Ich versuchte, nicht an meine Mutter zu denken. Ich versuchte, nicht an Fremde mit Motorrädern zu denken oder an Albträume und blutige Lippen und goldene Augen. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster und sah in Trance zu, wie die Bäume an mir vorbeihuschten.
Das Dar-ee Keen war gerammelt voll. Kein Wunder, denn es war einer der wenigen Orte, die man von der Jackson High zu Fuß erreichen konnte. Im Sommer musste man nur den Fliegen folgen, dann fand man den Weg dorthin von allein. Früher hatte es Dairy King geheißen, dann war der Laden verkauft worden und hatte einen neuen Namen bekommen, aber die Besitzer waren zu knausrig, um komplett neue Buchstaben im Namensschild zu bezahlen. Heute waren alle verschwitzter als sonst und stinksauer. In der Sommerhitze von South Carolina eine Meile zu Fuß zu gehen, statt rumzuflirten und am See warmes Bier zu trinken, ist nicht jedermanns Vorstellung von einem gelungenen Tag. Es war so, als hätte man einen Nationalfeiertag gestrichen.
Emily, Savannah und Eden hingen am besten Tisch in der Ecke mit dem Basketballteam herum. Sie waren barfuß, trugen ihre Bikini-Tops und superkurze Jeansröckchen – Mini-Teile, bei denen ein Knopf offen bleibt, damit man ein bisschen was vom Bikinihöschen sieht, ohne dass der Rock gleich runterfällt. Keiner hatte gute Laune. In ganz Gatlin gab es keine Reifen mehr, deshalb stand die Hälfte der Autos immer noch auf dem Schulparkplatz. Was die Mädchen nicht davon abhielt, laut zu kichern und ständig an ihren Haaren herumzufummeln. Emily quoll beinahe aus ihrem Bikinitop, und Emory, ihrer jüngsten Eroberung, fielen fast die Augen raus.
Link schüttelte den Kopf. »Die beiden müssen echt überall die erste Geige spielen.«
»Ist mir egal, solange ich nicht zuhören muss.«
»Mann, du brauchst dringend eine Portion Zucker für die Nerven. Ich stell mich mal an. Soll ich dir was mitbringen?«
»Nein danke. Brauchst du Geld?« Link war fast immer pleite.
»Nö, ich werde Charlotte überreden, dass sie mich einlädt.«
Link konnte beinahe jeden beschwatzen. Ich drängelte mich zwischen den Leuten hindurch; ich wollte so weit weg von Emily und Savannah sein, wie es nur ging. Ich setzte mich an den Tisch in der hintersten Ecke, direkt unter dem Regal, auf dem sich eine Sammlung von Limodosen und Flaschen aus dem ganzen Land reihte. Einige davon standen schon da, als mein Vater noch ein kleiner Junge gewesen war, und der braune, orange und rote Sirup in den Flaschen hatte sich nach den vielen Jahren des Verdunstens am Boden abgesetzt. Das Ganze war ziemlich widerlich – die Flaschen und Dosen, die Fliegen und die Tapete aus den Fünfzigerjahren mit den Limoflaschen darauf. Aber nach einer Weile störte es gar nicht mehr.
Ich setzte mich und betrachtete den dunklen Sirupsatz in einer der Flaschen. Der trübe Anblick entsprach genau meiner Stimmung. Was war am See nur in Lena gefahren? Gerade hatten wir uns noch geküsst und im nächsten Augenblick lief sie davon. Und dieser goldene Glanz in ihren Augen. Ich war ja nicht dumm. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Lichte Caster hatten grüne Augen, Dunkle Caster hatten gelbgoldene Augen. Lenas Augen waren nicht ganz golden, aber was ich da am See gesehen hatte, war genug gewesen, um mir Angst zu machen.
Eine Fliege landete direkt vor mir auf dem knallroten
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