Eine Unheilvolle Liebe
Tisch. Da war wieder dieses bekannte Gefühl, wenn sich mein Magen umdrehte. Furcht und Panik verschmolzen zu dumpfer Wut. Ich war so wütend auf Lena, am liebsten hätte ich die Tischplatte zertrümmert. Aber ich wollte auch wissen, was los war und wer der Typ auf der Harley gewesen war. Dann könnte ich ihm wenigstens in den Arsch treten.
Link setzte sich mir gegenüber an den Tisch mit dem größten Eisbecher, den ich jemals gesehen hatte. Die Eiscreme ragte zehn Zentimeter über den Rand des Plastikbechers hinaus. »Charlotte hat wirklich was drauf.« Er leckte den Strohhalm ab.
Schon allein von dem süßlichen Geruch wurde mir übel. Ich hatte das Gefühl, in dem Schweiß und dem Dreck und den Fliegen und den Emorys und Emilys zu ersticken.
»Lena ist nicht da. Wir sollten gehen.« Ich konnte nicht herumsitzen, als wäre alles in Butter. Link dagegen konnte das. Immer und überall.
»Reg dich ab. Ich hab’s gleich.«
Eden ging an uns vorbei, sie holte sich gerade noch eine Cola light. Sie lächelte uns an, so falsch wie immer. »Was für ein süßes Pärchen. Siehst du, Ethan, du brauchst deine Zeit gar nicht mit dieser kleinen Miss Reifenstecher-Fensterbrecher zu vergeuden. Du und Link, ihr beiden Turteltäubchen, seid füreinander geschaffen.«
»Sie hat deine Reifen nicht zerstochen, Eden.« Alles deutete auf Lena hin, das war mir klar. Ich musste die Lästermäuler zum Schweigen bringen, ehe sich auch noch ihre Mütter einmischten.
»Ja, ich war’s«, sagte Link, den Mund voller Eiscreme. »Lena ist total geknickt, weil sie nicht selbst auf die Idee gekommen ist.« Er ließ keine Gelegenheit aus, den Cheerleadern eins auszuwischen. Für die Mädchen war Lena schon längst nur noch ein fader Witz, von dem sie trotzdem nicht lassen konnten. So war es eben in einer kleinen Stadt. Wenn man einmal ein Vorurteil über dich gefasst hatte, dann änderte man es nicht mehr, selbst wenn du dich ändern würdest. Auch als Urgroßmutter wäre Lena immer noch das verrückte Mädchen, das im Englischunterricht die Glasscheiben splittern ließ. Und die meisten, die damals dabei gewesen waren, würden dann sicher immer noch in Gatlin leben.
Aber ich nicht. Nicht wenn alles so blieb, wie es war. Zum ersten Mal, seit Lena nach Gatlin gezogen war, dachte ich ernsthaft darüber nach, wegzugehen. Die Schachtel mit den College-Prospekten stand noch unter meinem Bett. Solange Lena bei mir gewesen war, hatte es keinen Grund gegeben, die Tage zu zählen, bis ich Gatlin verlassen konnte.
»Hallooo, wer ist denn das?« Edens Stimme war einen Tick zu laut.
Ich hörte die Türglocke bimmeln und kam mir vor wie in einem Clint-Eastwood-Film, wenn der Held in den Saloon kommt, nachdem er kurz zuvor die halbe Stadt erschossen hat. Alle Mädchen um uns herum reckten die Hälse, die verschwitzten blonden Pferdeschwänze flogen durch die Luft.
»Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden«, säuselte Emily und stand hinter Eden auf.
»Den hab ich hier noch nie gesehen. Du etwa?« Ich sah förmlich, wie Savannah im Geist das Jahrbuch der Jackson High durchging.
»Nein. An den würde ich mich garantiert erinnern.« Der arme Kerl. Emily hatte ihn ins Visier genommen und war zum Schuss bereit. Wer immer er war, er hatte keine Chance. Ich drehte mich um, neugierig geworden auf den Typen, den Earl und Emory grün und blau prügeln würden, sobald sie merkten, dass ihre Freundinnen ihn anschmachteten.
Er stand in der Tür, mit einem ausgewaschenen schwarzen T-Shirt, Jeans und abgewetzten Army-Stiefeln. Von meinem Platz aus konnte ich die abgewetzten Stellen nicht sehen, aber ich wusste, dass sie da waren. Denn er hatte genau das Gleiche angehabt, als ich ihn bei Macons Begräbnis zum ersten Mal gesehen und er sich mit einem lauten Ratschen in Luft aufgelöst hatte.
Es war der Fremde. Der Inkubus, der keiner war. Der Tageslicht-Inkubus. Mir fiel der silberne Sperling ein, den Lena in der Hand gehalten hatte, als sie in meinem Bett schlief.
Was wollte der Typ hier?
Auf seinem Arm war ein schwarzes tribalartiges Tattoo. Die Zeichen hatte ich irgendwo schon mal gesehen. Bei seinem Anblick hatte ich das Gefühl, als stecke ein Messer in meinem Bauch. Ich berührte die Narbe. Sie pochte.
Savannah und Emily gingen an die Theke und taten so, als wollten sie etwas zu essen bestellen, dabei nahmen sie nie etwas anderes als Cola light zu sich.
»Wer ist das?«, fragte Link unbeeindruckt. Offenbar sah er in dem Kerl keine
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