Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
die leichten Hütten von den dicken Astgabeln. Leiber wirbelten durch die Luft und schlugen auf der Erde auf.
»Gloria!« schrie Peters und erreichte das Ufer. »Gloria!« Er stürzte auf sie zu, riß die in höchster Angst Schreiende vom Boden und trug sie zurück in den Fluß. Sie wehrte sich, blind in ihrer Panik, erkannte nichts mehr und schlug um sich.
Serra schleuderte die zweite Dynamitladung. Sie war noch vernichtender. Sie blieb in einem der Bäume hängen und explodierte auf halber Höhe. Die Bäume fingen Feuer, kleine, braune Gestalten wälzten sich auf der Erde und stürzten aus den Ästen wie morsche Zapfen.
Serra machte kehrt und rannte Peters nach. Er blutete aus einer Stirnwunde, aber das war jetzt unwichtig.
»Das Floß in den Fluß!« brüllte er. Mit ungeheurer Kraft warf er Gloria in die künstlichen Büsche und stieß die schwimmende Insel vom Ufer weg. Dann sprang auch er auf und legte sich auf den Rücken. Das Floß kam in die Flußströmung und trieb langsam davon. Hinter ihnen brannte das Dorf und kreischten die Menschen. Auch Gloria schrie noch. Der Schock saß in ihr fest, und Peters konnte sie nicht beruhigen.
»Schlagen Sie ihr aufs Maul!« sagte Serra erschöpft. »Wir brauchen keine Sirene für unsere Fahrt. Junge, wir haben es geschafft! Wir haben es geschafft!«
Dann schwieg er abrupt, streckte sich und verlor das Bewußtsein.
26
Minuten später erst entdeckte Peters, daß sich Serra nicht mehr rührte. Es war ihm gelungen, Gloria endlich zu beruhigen. Er hatte sie geschüttelt und immer wieder angeschrien, und während sie jetzt mitten auf dem Fluß abwärts trieben, fiel sie in sich zusammen, warf die Arme um Peters' Hals und begann lautlos zu weinen. »Es ist ja alles gut«, sagte er zärtlich und küßte ihr zuckendes Gesicht. »Gloria, es ist alles vorbei. Wir sind auf dem Fluß, wir treiben in die Freiheit. Du selbst hast einmal gesagt: Alle Flüsse münden einmal irgendwo, und dort sind Menschen … Gloria …«
Sie umklammerten sich, als könne man sie jetzt noch auseinanderreißen, und Peters drückte ihren Kopf an seine Brust, damit sie nicht mehr das Flammenmeer sah, das hinter ihnen die Nacht ausfüllte. Das Dorf brannte wie eine riesige Fackel, und Peters fragte sich jetzt, ob es nötig gewesen war, so viel Vernichtung anzurichten. Aber es war nicht anders möglich gewesen, und bis zum letzten Überlebenden hätten die Ximbús um sie gekämpft.
»Antonio, was haben Sie?« fragte Peters jetzt. Er schob sich über den Bewußtlosen und sah, als er sich tief herunterbeugte, daß Serras Gesicht von Blut überströmt war. »Mein Gott! Was ist denn mit Ihnen los? Serra! Geben Sie doch Antwort!«
Er tauchte beide Hände in das Wasser, wusch Serras Gesicht und legte dadurch die breite Stirnwunde frei, aus der sofort neues Blut quoll. Da riß er sich das Hemd vom Leib, wickelte es Serra fest um den Kopf und blickte sich nach Gloria um. Sie saß vorn auf dem Floß und starrte zurück auf das Dorf. Der Fluß hatte eine Biegung gemacht. Sie sah den Untergang der Ximbús nicht mehr. Nur der Nachthimmel war gerötet vom Brand, und er würde sich weiterfressen, wenn erst der Wind aufkam, kilometerweit, über riesige Gebiete hinweg, eine Flammensäule, die vielleicht nur ein großer, anhaltender Regen löschen konnte. Der Mensch konnte es nicht mehr.
»Wer ist das?« fragte sie und rührte sich nicht.
»Antonio Serra. Ohne ihn hätten wir uns nicht wiedergefunden.«
»Er hat Xéré getötet.«
»Was hätten wir tun können? Er war in diesem Augenblick das größte Hindernis.«
»Ihr habt ihn einfach umgebracht. Er saß da, und ihr habt ihn getötet.«
Peters beugte sich wieder über Serra. Antonio stöhnte laut und tastete, noch im Unterbewußtsein, nach seinem Kopf.
»Wir müssen etwas tun!« rief Peters wieder. »Er verblutet mir unter den Händen! Gloria, wie bekommt man dieses Bluten zum Stillstand? Gloria!«
»Er hat …«
»Er hat dich herausgeholt!« schrie Peters. »Er allein! Ich war nur ein billiger Handlanger! Und ich hätte Xéré auch getötet, mit meinen Händen, weil ich dich liebe! Wir alle sind Mörder, wir wissen es nur nicht. Wir merken es erst, wenn uns das Schicksal keine andere Wahl mehr läßt.«
Gloria kroch nach hinten zu Serra. Sie wickelte Peters' bereits durchblutetes Hemd ab und legte, nachdem sie ihre Bluse in Streifen gerissen hatte, einen festen Verband an.
»Ein Druckverband«, sagte sie. Ihre Stimme klang fremd, wie in einem Zustand
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