Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
mich bloß nicht an, Xéré! Du bist ein lieber Junge, aber du hast dich seit der letzten Nacht erschreckend verändert.«
    Xéré schien zu verstehen – aus dem rätselhaften Instinkt heraus, den er entwickelt hatte. Er lief zu den Wohnbäumen, kletterte schnell an einem hinauf, kam nach wenigen Minuten wieder zurück und legte Gloria eine Decke aus Baumfasern um die Schultern. Dann hockte er sich wieder neben sie und wurde unbeweglich wie ein Stück Holz.
    »Damit ist der Junge bereits tot«, flüsterte Serra. Die Dunkelheit erlaubte ihm, sich etwas zu bewegen. Er saß zwischen den künstlichen Büschen und überprüfte noch einmal die drei Päckchen Dynamitstangen und die Raketensätze. Er schraubte die Dochte frei, steckte dann alles in einen Plastikbeutel und hing ihn sich um den Hals.
    »Sie haben nur Gloria zu holen, alles andere mache ich, verstanden?« sagte er hart. »Sind Sie bereit? Dann steigen wir jetzt ins Wasser und waten hinüber. Die Insel drücken wir vor uns her. Also?«
    »Bereit«, sagte Peters tonlos. Die Erregung lag wie eine eisige Kälte in ihm. »Antonio, ich danke Ihnen …«
    »Himmel! Halten Sie die Fresse! Der Flußboden ist jetzt wichtiger!«
    Sie glitten lautlos ins Wasser. Der Fluß war hier ungefähr einen Meter tief, also tiefer, als Serra angenommen hatte. Sie standen bis zur Brust im Wasser und befreiten das Floß von den herunterhängenden Ästen, die es umklammert hielten. Das ging nicht ohne Plätschern ab, aber in den hundertstimmigen Urwaldlauten ging dieses Geräusch völlig unter. Noch lärmten die Affen auf den Bäumen, kreischten und zankten sich, und die Nachtvögel begannen mit ihren dumpfen, fast menschlichen Schreien. Riesenfrösche am Ufer begannen zu quaken, und das Gurgeln des Flusses war lauter als am Tag.
    »Welche Scheiße«, flüsterte Serra und riß an den Ästen. »Hier ist's zu tief. Wir müssen weg! Sofort! Aber der Boden ist gut. Er trägt! Los, drücken Sie stärker! Beim ersten Piranhabiß in Ihren Arsch werden Sie flotter! Aha, Sie bewegt sich.«
    Die Insel war frei. Sie stießen sie vor sich her zum Ufer, blieben dabei hinter den Büschen in Deckung und erreichten dann endlich das seichte Wasser.
    Serra zog die Luft durch die Zähne. »Unser Glück ist unheimlich«, flüsterte er. »Wir sind keine Skelette geworden! Ganz langsam jetzt. Sehen Sie Gloria?«
    »Sie liegt auf dem Floß. Der Indio sitzt neben ihr.«
    Serra griff in den Gürtel. Ganz kurz sah Peters ein Messer aufblitzen. Schaudernd hob er die Schultern. Er dachte an den Affen, den Serra mit einem Messerwurf vom Baum geholt hatte, und wußte, welches Schicksal in wenigen Sekunden den jungen Indio ereilen würde. »Noch fünf Meter«, flüsterte er kaum hörbar.
    »Bei drei Metern treffe ich eine Wanze an der Wand.« Serra rutschte hinter dem Floß auf den Knien durch das Wasser. Er lugte um den Busch herum und sah Xéré genau vor sich. Der Junge saß mit aufgerichtetem Oberkörper neben Gloria und starrte über den Fluß. Die kleine, schwimmende Insel beachtete er nicht. Serra visierte sein Ziel an. Die braune Brust des Indios lag genau in der Wurflinie, es war die einfachste Sache von der Welt, diesen Mann lautlos zu töten.
    »Nehmen Sie die erste Ladung«, flüsterte Serra. Er reichte Peters aus dem Plastikbeutel die ersten vier zusammengebundenen Dynamitstangen und sein Feuerzeug. »Wenn ich werfe, zünden Sie die Lunte an. Und dann sofort mir in die Hand …«
    Peters nickte. Er hielt das Feuerzeug unter die Zündschnüre und biß die Zähne zusammen.
    Serra zielte noch einmal, holte dann weit aus und warf. Lautlos flog das Messer durch die Nacht und traf mit tödlicher Sicherheit.
    Xéré spürte nur einen harten Schlag gegen seine Brust; dann zerstob seine Welt, als seien die Sterne vom Himmel gefallen und hätten sie auseinandergebrochen. Mit einem leisen Ächzen griff er sich ans Herz und sank dann nach hinten um.
    Gloria, die noch wach neben ihm lag, zuckte hoch. Sie sah das Messer in Xérés Brust und schrie hell auf.
    »Dieses dämliche Weibsbild!« brüllte Serra. »Das Dynamit!« Er griff nach den Stangen, riß sie aus Peters' Hand, die Lunte glimmte bereits, Serra beugte sich weit zurück und schleuderte das Paket hinter die erloschenen Feuer vor die Reihe der Wohnbäume. Im gleichen Augenblick stürzte Peters hinter der Insel vor und rannte an Land.
    Eine fürchterliche Explosion zerriß die Nacht. Ein greller Flammenstrahl erhellte das Dorf, die Wucht des Dynamits fegte

Weitere Kostenlose Bücher