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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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man hier Berechnungen anstellen? dachte er. Der Fluß ist eine unbekannte Größe. Die Strömung wechselt ständig.
    »Wir müssen unterwegs irgendwo anhalten!« brüllte Serra. »Das wird überhaupt ein Problem! Wir können doch keinen Anker werfen! Wir können nur versuchen, durch geschicktes Lenken in seichtes Uferwasser zu kommen.«
    Sie fuhren vier Stunden, als sie die erste Felsenbarriere erreichten. Der Fluß schäumte und brüllte und stürzte sich durch eine enge Schlucht in ein breiteres Bett.
    »Da haben wir die Scheiße!« schrie Serra. »Wenn jetzt unser Aufbau hält, haben wir mehr Glück als Verstand.«
    Das Floß schoß in dem reißenden Fahrwasser vorwärts, drehte sich, gehorchte nicht mehr dem Ruder und tanzte auf den wirbelnden Strudeln zwischen den Felsen hindurch.
    Serra und Peters klammerten sich fest, verurteilt, sich der Gewalt des Flusses zu beugen. Es gab keine Möglichkeit mehr, das Schicksal selbst zu bestimmen. Entweder kam man unten halbwegs unversehrt an, oder man zerschellte jetzt an den glatten, riesigen Steinen.
    »Rufen Sie Ihren Alliierten im Himmel an!« Serra versuchte das Tosen des Wassers zu überschreien. »Er soll sich etwas einfallen lassen, damit wir durchkommen.«
    Und das Floß kam durch. Mit der Strömung sprudelte es durch die Schlucht, rutschte hinunter in das breitere Flußbett und schaukelte schließlich aus, ohne viel von dem Aufbau an Büschen und Farnen verloren zu haben.
    Serra kroch aus den Sträuchern hervor und holte tief Atem. »Wo sind Sie, Hellmut?« fragte er dann.
    »Hier.« Peters hob die Hand. Er hatte sich an Lianenschlingen festgehalten.
    »Alles in Ordnung?«
    »Bis auf ein paar blaue Flecke – ja. Und Sie?«
    »Ich sterbe vor Bewunderung über dieses Floß. Das machen Ihre Einkerbungen.« Serra strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. »Wissen Sie, daß wir damit das Schlimmste hinter uns haben? So eng sind keine Katarakte beieinander. Bis zu den Ximbús dürfte der Fluß jetzt schön langsam fließen. Junge, ich könnte singen vor Freude!«
    Das Floß trieb jetzt näher am Ufer, verfing sich ein paarmal an Schlingpflanzen, und Serra und Peters mußten es loshacken.
    Nach dem Stand der Sonne mußte früher Nachmittag sein, und Serra sagte: »Jetzt kommt Xinxaré vielleicht zu sich. Wenn er zuerst aufwacht, wird er vor Wut seine eigenen Leute enthaupten. Was er jetzt auch macht, unseren Vorsprung holt er nie auf. Wir sind ihm viereinhalb Tage voraus.«
    Sie blieben in Ufernähe, trieben im trägen Wasser und lagen im Schutze der eingepflanzten Büsche, unsichtbar sogar für ein Indioauge. Nur die Raubfische witterten sie. In kleinen Rudeln umkreisten sie das Floß.
    »Sehen Sie sich das an«, sagte Serra heiser. »Wenn da einer von uns hineinfällt! Ein Glück, daß der Fluß hier so träge ist. Und sehen Sie sich das da vorne an. Da wird er enger, und der Wald wächst über ihm zusammen wie ein Tunnel. Ein Fluß in einer grünen Röhre. Satanisch schön.«
    Sie waren nur noch siebenhundert Meter vom Dorf der Ximbús entfernt – aber sie ahnten es nicht –
    Gloria erwachte, weil sie das Gefühl hatte, mit dem Kopf im Wasser zu liegen. Bleierne Schwere war in ihr, sie riß die Augen auf und merkte jetzt, daß Xéré ihr Gesicht wusch. Sie lag noch am Fluß, das Floß war ganz ans Land gezogen worden. Von den Feuerstellen zog der Duft von gebratenem Fleisch und einer bei den Ximbú beliebten Suppe herüber, die sie aus großen, mehligen Bohnen kochten, deren Schoten rund um das Dorf von den Bäumen hingen wie anderswo der Wein.
    Die Männer hatten ihre Kriegsvorbereitungen eingestellt und waren dabei, Glorias ausgebrannte Baumhütte wiederherzustellen. Wie Riesenaffen hingen sie in den Ästen und bauten für ihre Göttin eine noch größere, eine noch sicherere Wohnstatt, höher in dem gewaltigen Baum als alle anderen Nester um sie herum.
    Gloria richtete sich auf. Es war mühsam, die Müdigkeit war wie eine Lähmung, der betäubende Trank machte sie auch jetzt noch völlig wehrlos. Xéré stützte sie, als sie aufstand und schwankte; dann legte er ihren Arm auf seine Schulter und sah sie aus seinen schönen, traurigen Augen an.
    Nimm mich als Stock, hieß das. Ich will nichts sein als irgendein Gegenstand, der dir nützlich ist. Aber bleib bei uns! Bleib bei mir!
    Gloria blickte hinüber zu dem Gewimmel auf dem Baum, zu den Menschentrauben, die dort an einer neuen Plattform flochten, die kleine Baumstämme hinaufzogen und mit der Erfahrung

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