Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
von Jahrhunderten die Stützen der Hütte zusammenpflockten.
»Ich bleibe nicht bei euch«, sagte sie und mußte sich weiter auf Xéré stützen. »Ich werde immer wieder versuchen, zu fliehen! Und wenn ich mich allein durch den Wald schlage. Ich will weg von hier! Weg! Weg!«
Sie schrie Xéré dieses ›Weg‹ ins Gesicht, stieß ihn von sich, als er nach ihrer Hand griff, um sie wie ein Sklave an seine Stirn zu legen, was seine völlige Unterwerfung bedeuten sollte. Sie nahm alle Kraft zusammen, machte ein paar wankende Schritte und ging hinüber zu dem auf dem Trockenen liegenden Floß, setzte sich auf die runden, zusammengebundenen Stämme und starrte über den Fluß. Xéré stand wieder hinter ihr. Für ihn gab es nur noch ein Leben neben der weißen Frau.
Über den Fluß trieb träge eine kleine, buschige Insel, ein Stück losgerissener Erde. Sie drehte sich ein paarmal, blieb dann an einem der weit ins Wasser ragenden, dicken Äste hängen und schaukelte träge in der schwachen Strömung.
»Das Dorf …«, flüsterte Serra heiser vor Erregung. »Verdammt, da ist schon das Dorf. Und wir hängen fest. Die reinste Schießscheibe. Mensch, rühren Sie sich bloß nicht!«
Sie lagen in dem eingepflanzten Gebüsch flach auf dem Floß und starrten hinüber zu der Bucht. Sie sahen mit Staunen die Baumnester, das Gewimmel der kleinen, nackten Männer und die Feuer mit dem brutzelnden Fleisch. Ein dicker Ast hielt sie wie ein Anker fest, hatte sich in dem künstlichen Gebüsch verkrallt, und es war unmöglich, sich jetzt zu befreien.
»Sie leben tatsächlich auf Bäumen«, flüsterte Serra. »Wenn die da oben Beobachtungsposten haben, können sie jede Bewegung auf unserer schwimmenden Insel sehen. Wir liegen genau richtig, wie serviert. Himmel und Arsch, was haben Sie! Bewegen Sie sich nicht!«
Aber dann sah es auch Serra: Drüben am Ufer erschien, auf einen der kleinen, nackten Kerle gestützt, eine weiße Frau mit langen, wehenden, goldenen Haaren. Sie ging hinunter zum Fluß, stieß dann den Indio von sich weg und setzte sich auf ein Gebilde, das wie ein Floß aussah.
»Gloria …«, stammelte Peters. Seine Stimme zerbrach. »Gloria … mein Gott … mein Gott …«
»Ihr Gott ist jetzt unwichtig. Verflucht, Sie sollen liegen bleiben!« Serra drückte mit seiner großen Hand Peters' Kopf herunter. »Sie lebt, sie ist wunderhübsch – gratuliere! –, aber sie ist garantiert in wenigen Sekunden eine Leiche, wenn man uns entdeckt. Was machen Sie denn da?« sagte er entsetzt.
Peters hatte sich mit einem Ruck von Serras Hand befreit und schob das Gewehr unter sich her nach vorn. Serra griff wieder zu und drückte Peters' Kopf auf das Floß.
»Sie Idiot!« zischte er.
»Lassen Sie mich los!« keuchte Peters. Er begann am ganzen Körper zu zittern. »Sehen Sie denn nicht … der nackte Kerl da … Gloria stößt ihn weg … ich bring ihn um … ich bring ihn um …«
»Ich denke, Sie können keinen Menschen töten, he?« Serra verstärkte den Druck seiner Hand und preßte Peters' Gesicht auf das Holz. »Behalten Sie jetzt bloß die Nerven, Junge! Still liegen! Es kommen vier Kerle an das Ufer. Hier gewinnt jetzt nur der, der am besten den Hintern zusammenkneifen kann. Wir müssen auf die Nacht warten, sonst ist alles umsonst gewesen.«
25
Es waren grausame Stunden, die sie, flach auf dem Bauch liegend, nur von dem Ast des überhängenden Baumes festgehalten, im Fluß abwarten mußten.
Mit brennenden Augen starrte Peters hinüber auf die breite Bucht und das Dorf mit den Baumhütten. Er sah Gloria hin und her gehen, der Indio, der immer um sie war, brachte ihr ein Stück Fleisch und in einer Kürbisschale etwas zu trinken … dann saß sie wieder am Fluß, blickte über das träge, gelbe Wasser, und der junge Wilde stand hinter ihr, so unbeweglich, als sei er aus braunem Holz geschnitzt.
»Es ist zum Wahnsinnigwerden«, stöhnte Peters und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Sie ist so nah, und ich kann nicht an sie heran.«
»Was wollen Sie denn? Es geht ihr doch gut!« Serra lag auf dem Rücken, er hatte sich ganz vorsichtig umgedreht, millimeterweise, um keine verdächtige Bewegung der schwimmenden Insel zu erzeugen. »Kritisch wird's erst, wenn die Nacht da ist. Unser schönes Feuerwerk wird planmäßig abbrennen, aber wissen wir, wo Ihre Gloria dann sein wird? Was ist, wenn die Ximbús sie über Nacht einsperren? Weiß der Teufel, vielleicht haben sie sogar so etwas wie einen Götterplatz.
Weitere Kostenlose Bücher