Eine Vampirin auf Abwegen: Argeneau Vampir 1
„Sie sind also Vampire, aber nicht tot oder sogar untot?”
„Stimmt, obwohl ich den Begriff Vampir lieber nicht gegenüber meiner Mutter benutzen würde; sie hasst ihn”, informierte Lissianna ihn. „Das tun die meisten Älteren von uns.”
„Warum? Sind sie das etwa nicht?”, fragte er.
Sie zögerte, dann erklärte sie: „Vampir’ ist ein Begriff, den die Sterblichen uns gegeben haben. Wir haben ihn uns nicht ausgesucht. Außerdem verleitet das Wort zu mehr als unangenehmen Assoziationen.... Dracula, dämonengesichtige Wesen.”
Sie zuckte die Achseln.
„Sie sind also keine Dämonen; das zu wissen, beruhigt ungemein”, stellte er trocken fest. „Wie alt sind Sie?”
Lissianna schwieg so lange, dass er dachte, sie würde überhaupt nicht auf seine Frage antworten. Dann setzte sie sich auf die Bettkante zu ihm, schaute auf ihre Hände, überlegte kurz und gab schließlich zu: „Ich bin 1798 zur Welt gekommen.”
Greg lag vollkommen reglos da, und sein Verstand raste 1798? Lieber Gott, sie war zweihundertundzwei. Das machte sie wirklich richtig alt. Und dann erinnerte er sich daran, dass er sich Gedanken gemacht hatte, sie könne glauben, er sei zu alt für sie.
Er schüttelte den Kopf und fragte: „Und Sie sind nicht tot?”
„Nein”, antwortete sie mit fester Stimme.
Greg runzelte die Stirn und sagte: „Aber wenn man Büchern und Filmen Glauben schenkt, sind Vampire tot.”
„Und wenn man Büchern und Filmen glaubt, sind Psychologen und Psychiater psychotische Mörder”, erwiderte sie. „Denken Sie doch an Dressed to kill oder Das Schweigen der Lämmer.”
„Touche”, sagte er amüsiert.
Sie schwiegen beide eine kleine Weile, dann sagte Lissianna: „Wie bei allem gibt es viele verzerrte Darstellungen über uns, die im Lauf der Jahrhunderte entstanden sind.”
Greg dachte kurz darüber nach, dann fragte er: „Wie verzerrt sind die Darstellungen denn? Sind Sie verflucht und seelenlos?”
Sie lächelte mit echter Heiterkeit. „Nein, wir sind nicht verflucht, wir sind nicht seelenlos, und Knoblauch und religiöse Symbole haben keinerlei Wirkung auf uns.”
„Aber Sie trinken Blut?”
„Wir brauchen Blut, um zu überleben”, gab sie zu.
„Das ist verrückt”, sagte Greg laut. Sein Verstand rebellierte dagegen, das Unakzeptable zu akzeptieren. „Vampire, ewiges Leben, sich von Blut ernähren.... das ist eine Geschichte, ein Mythos, eine Legende.”
„Die meisten Legenden und Mythen basieren auf einem Körnchen Wahrheit”, sagte sie ruhig.
Greg riss erschrocken die Augen auf. „Was ist mit Werwölfen und so?”
„Na ja, Sie sind Psychologe”, sagte sie amüsiert. „Sie haben doch sicher von Lykanthropie gehört?”
„Das ist eine Psychose, bei der der Patient sich einbildet, er sei ein Wolf.”
„Na also.”
Was hatte das zu bedeuten?, fragte sich Greg. Er glaubte nun wirklich nicht an so etwas wie Werwölfe, aber er hatte auch vorher nicht an Vampire geglaubt. Diese ganze Geschichte hatte seine Erfahrungen und sein Wissen auf den Kopf gestellt. Er wusste nicht, was er davon halten sollte.
„Es tut mir leid, dass ich Sie gebissen habe.”
Lissiannas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und das war wohl gut so. Er würde sonst noch von all diesen Ideen, die ihm durch den Kopf gingen, in den Wahnsinn getrieben werden. Als Nächstes würde er noch an Feen und Elfen glauben.
„Es war ein Fehler”, fügte sie rasch hinzu. „Als ich Sie auf dem Bett liegen sah, mit einer Schleife um den Hals, dachte ich, Sie seien mein Geburtstagsgeschenk.... und das waren Sie ja auch. Ich hatte nur nicht begriffen, dass Sie meine Phobie behandeln sollten. Ich nahm an, dass Sie.... eine besondere Leckerei wären.”
„Eine besondere Leckerei?” Greg wiederholte ihre vorsichtige Ausdrucksweise ungläubig. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie mich für das Abendessen hielten?”
Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht und war anständig genug, rot zu werden, und Greg tat leid, was er gesagt hatte. Er war wegen des Bisses nicht einmal richtig böse auf sie. Es war schwer, sich wegen etwas zu ärgern, das er so genossen hatte, und Greg musste zugeben, dass es wirklich Spaß gemacht hatte.
Schon sich daran zu erinnern genügte, eine eindeutige Reaktion seines Körpers hervorzurufen.
„Sie sind also eine Vampirin mit Hämophobie”, sagte er schnell, um das Thema zu wechseln.
„Lächerlich, nicht wahr?”, murmelte sie angewidert. „Ich weiß, dass ich keine Angst vor Blut
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