Eine verboten schoene Frau
Stückchen Stoff über ihre sanft gerundete Schulter zog.
Er wollte das Bild von der Wand reißen und damit aus dem Haus flüchten. Aber er unterdrückte dieses Verlangen. Er hatte zu lange auf diesen Moment hingearbeitet, um jetzt alles zu ruinieren. Aber es war härter, als er erwartet hatte, nun dieses Bild zu sehen, das sein Großvater vor fünfundzwanzig Jahren hatte verkaufen müssen.
„Es ist wunderschön, nicht wahr?“ Avery stand hinter ihm. „Offenbar war sie Dienstmädchen im Haushalt der Baxters gewesen. Das Bild hat damals einen kleinen Skandal ausgelöst. Baxters Frau Isobel hat dem Mädchen eine Affäre mit ihrem Mann unterstellt und sie entlassen. Außerdem wollte sie, dass ihr Mann das Bild vernichtet. Was er offensichtlich nicht getan hat. Es gab Gerüchte, dass er das Bild dem Mädchen geschickt hatte, aber wir haben keinerlei Beweise darüber, wohin das Bild kam, nachdem es Baxters Haus verlassen hat.“
„Interessant, dass sie ihrem Mann nicht übel genommen hat, ein Dienstmädchen ausgenutzt zu haben.“ So sehr er sich auch darum bemühte, die Spur von Bitterkeit in seiner Stimme konnte er nicht verbergen.
Avery zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Seine Frau war ganz offenbar eine starke Persönlichkeit. Was vermutlich notwendig war, da Baxter nichts außer seiner Arbeit wahrgenommen hat.“
„Und sein Modell, offensichtlich.“
Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Ja. Obwohl ich mich frage, ob er sie jemals als etwas anderes als Farbtöne und Licht und Schatten gesehen hat.“
Marcus presste die Kiefer zusammen und hielt die Worte zurück, die ihm auf der Zunge lagen. Er durfte Avery nicht verraten, dass er keinerlei Zweifel daran hegte, dass Baxter Cullen sein Modell als viel, viel mehr als nur das gesehen hatte.
Immerhin war das Modell Marcus’ Urgroßmutter gewesen.
Er zwang sich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Zu wissen, dass er der Grund war, warum das Gemälde nicht länger im Wohnzimmer seines Großvaters hing, machte das Betrachten des Bildes emotionaler, als Marcus erwartet hatte. Und Marcus akzeptierte Gefühle nicht.
„Wie ist Ihr Vater denn in den Besitz des Gemäldes gelangt?“
„Über einen Kunsthändler, vermute ich. So ist er zu den meisten seiner Gemälde gekommen, auch wenn er ziemlich gut darin war, einen Schatz in Nachlässen oder beim Trödler zu entdecken. Aber er war immer ein Verfechter von fairen Preisen.“
„Ich bin überrascht, dass Sie das Bild hier im Studio hängen haben.“
„Es ist eine Inspiration.“
„Für Ihre Aktbilder?“
„Nicht nur für meine Arbeit – für alles. Es erinnert mich daran, in allem nach der Schönheit zu suchen.“
„Danach müssen Sie suchen? Sie sind hier doch umgeben von Schönheit.“ Er löste den Blick von dem Bild und drehte sich zu ihr um.
Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Sie würden sich wundern, was mich so alles umgibt und was von mir erwartet wird.“
Er konnte den Schmerz hinter ihren Worten spüren, aber sicherlich war das Leben in ihrer Welt nicht allzu schmerzhaft. Irgendwo im Haus verkündete eine Standuhr die Zeit. Es war spät geworden. Zwar hätte er den Vorteil nutzen können, den ihre momentane Offenheit bot, aber er wusste auch, dass sie darunter vermutlich immer noch so scheu war wie ein Bieter auf seiner ersten Auktion.
„Ich mache mich besser auf den Weg“, sagte er. „Danke, dass Sie mir das Gemälde gezeigt haben.“
„Sehr gern. Warten Sie, ich begleite Sie nach unten.“
Sie ging voraus, die Treppe hinunter und durch die schwarzweiß geflieste Diele. An der Tür streckte Marcus ihr die Hand hin, und sie überraschte ihn, indem sie seine Hand mit ihrer umschloss.
„Ich werde nicht aufgeben“, warnte er sie und lächelte leicht.
„Aufgeben?“
„Sie zum Verkauf der Sammlung Ihres Vaters zu bringen.“
Avery lachte. „Das wird niemals passieren.“
„Für gewöhnlich bekomme ich, was ich will.“ Er ließ den Blick wie eine Liebkosung über ihr Gesicht gleiten und dann tiefer, dorthin, wo ihr Puls deutlich an ihrem Hals schlug.
Sie wurde rot, und der Druck ihrer Finger um seine verstärkte sich fast unmerklich. Dann zog sie die Hand zurück.
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass Sie lernen mit Enttäuschungen umzugehen.“ Ihre Stimme klang leicht heiser.
„Glauben Sie wirklich, ich wurde noch nie enttäuscht?“ Er legte einen neckenden Tonfall in seine Stimme.
Sie errötete wieder.
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