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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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am Tag eine Flut von Farben und Blättern waren. Sie las über die Nieswurz, die mit Blüten durch den späten Winterschnee brach, über den Fingerhut und den Rittersporn und die alten Bourbon-Rosen. Sie las über den Heliotrop und den Amarant und über Lilien. Sie las über die Wirtspflanzen, die im Schatten gediehen, und den japanischen gefleckten Farn, dessen zarte Blätter mit indigofarbenen Pinselstrichen gerändert waren. Sie sagte sich die Namen wieder und wieder vor, katalogisierte sie: Calendula, Coleus, Coreopsis. Sie war entzückt.
    Sie las Bücher und Anleitungen darüber, wie man die Gartenerde vorbereitete, wie man einen Garten drei Mal umgrub, bis die Erde so fein und körnig wie Sand war, wie man die Erde mit Dünger und Mulch anreicherte. Das war nicht so poetisch wie die Beschreibungen der Blumen, aber in gewisser Weise fand sie es sogar noch aufregender. Sie liebte die Maschinerie der Dinge, die Technik.
    Sie war bloß irgendeine verheiratete Frau, die Bücher über die Gärtnerei las. Ihre schwarzen Glacéhandschuhe und ihre Handtasche lagen neben ihr auf dem langen Eichentisch, und die Seiten reflektierten das helle Licht der Deckenlampe und der Leselampen aus Messing.
    Sie ließ sich von den Bibliothekaren Folianten bringen voller botanischer Zeichnungen, handkolorierter Darstellungen, die die Pflanzen zeigten, von denen sie las, und sie prägte sich ein, was sie sah, Staubgefäß und Stempel und Blütenblatt und Blatt. Dabei kam ihr eine Idee. Es war eine Idee, die ihr so tröstlich erschien, so einfach und schlicht und tröstlich, nämlich den eingeschlossenen geheimen Garten zu restaurieren, dabei zuzuschauen, wie alles wuchs, und ihn zu ihrem eigenen zu machen. Zu einem Ort, an dem sie sicher war, aus dem die Welt ausgesperrt war. Il giardino segreto, wiederholte sie wieder und wieder. Sie mochte Geheimnisse.
    Ihr Geist hatte sich entzündet, und sie kehrte spätabends in ihr Hotel zurück und lag in ihrem schmalen Bett mit den frischen weißen Laken, und sie konnte ihn vor sich sehen. Sie konnte ganz deutlich sehen, wie er sich entwickeln würde, sobald sie gelernt hatte, ihn sich nicht nur in ihrer Phantasie vorzustellen, sondern mit ihren eigenen Händen in die Tat umzusetzen. Das war das Erste, in das sie sich, so weit, wie sie sich überhaupt erinnern konnte, verliebt hatte.
    Das erste Ding, in das sie sich in ihrem ganzen Leben wieder verliebt hatte, seit dem Tag in der Kutsche mit ihrer Mutter und den jungen Soldaten und dem Regenbogen. Endlich hatte sie den Topf mit Gold gesehen, den sie ihr, vor langer Zeit, versprochen hatten, und jetzt würde sie ihn endlich bekommen, was auch immer geschah. Sie hatte Mr. Malloy und Mr. Fisk beinahe schon vergessen.
    Und dann tauchten sie auf. Eines Nachmittags, als sie zufällig in ihrem Hotelzimmer war, brachte ein unterwürfiger Portier eine Karte. Und dann saßen Mr. Malloy und Mr. Fisk in ihrem Salon und hielten ihre braunen Hüte in den Händen. Sie waren fast gleich groß und hätten Brüder sein können. Mr. Fisk war rot im Gesicht, und Mr. Malloy war blass wie der Winter, aber beide hatten die gleichen ungerührten blauen Augen, und beide trugen braune Anzüge von unauffälligem Schnitt.
    Sie bot ihnen Kaffee an. Sie bot ihnen Tee an. Sie lehnten beides ab. Sie bot ihnen beinahe ein Glas Bier an, was sie vielleicht gemocht hätten – alle in Saint Louis schienen ununterbrochen Bier zu trinken –, aber sie hatte das Gefühl, dass das nicht gut zu ihr gepasst hätte und dass sie das womöglich gleich Truitt melden würden.
    Sie schlugen ihre identischen kleinen Notizbücher auf und begannen, die Einzelheiten herunterzuleiern. Er nannte sich Tony Moretti. Ein lächerlich durchsichtiges Pseudonym. Sein echter Name, also der Name seines leiblichen Vaters, war Moretti. Sein Geburtsname, sein rechtmäßiger Name, war Antonio Truitt. Truitt war allerdings mit denkbar größter Wahrscheinlichkeit nicht sein leiblicher Vater. Er hatte den Leuten erzählt, sein Vater sei ein berühmter italienischer Pianist. Schwarzes Haar. Olivbraune Haut. Mehr als einsachtzig groß. Seine Schuhgröße. Was für Hemden er bevorzugte. Sein Musikgeschmack. Seine katastrophale Vorliebe für Frauen – es war ihnen so peinlich, dass sie fast in Schweigen verfielen. Sein Alkoholkonsum. Das Opium. Sein verschwenderischer Umgang

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