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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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damit, sich für den Tag zurechtzumachen, überlegte, welches ihrer neuen Kleider sie tragen sollte, und frisierte ihr Haar in einer Weise, die weder zu streng noch zu auffällig wirkte. Sie war wie eine Schauspielerin, bevor sie die Bühne betritt, und ihr entging nicht das kleinste Detail ihres Auftritts. Sie war es gewohnt, alles im Blick zu behalten, sie musste wissen, was um sie herum vorging, und sie ahmte das Benehmen ihrer Mitreisenden ganz genau nach. Sie zupfte peinlich genau jedes einzelne Haar aus ihrer Haarbürste. Sie sprach leise und freundlich mit den Zimmermädchen, die kamen, um ihr Zimmer zu reinigen und Staub zu wischen, so dass es jeden Tag wieder wie neu aussah.
    Und sie dachte an Truitt, an seine Einfachheit und sein Vertrauen. Und sie dachte, seltsam genug, an seinen Körper und an die Nächte, die sie zusammen verbracht hatten. Sein Körper war nicht jung, aber gut gebaut und wohlriechend und irgendwie vertraut. Sein Körper hatte gute Maße, die sie aber nicht bedrohlich fand. Er hatte ihr nie Schmerzen bereitet. Sie war sich nicht sicher, ob die Nächte ihr Lust bereitet hatten, sie war sich nicht sicher, ob sie noch wusste, was Lust war, aber sie wusste, dass sie Truitt etwas bedeutet hatte, ihm eine Art von Befreiung aus seiner privaten Hölle geschenkt hatte, ein Fenster, das geöffnet wurde, nachdem es zu lange geschlossen gewesen war. Eine Heimkehr. Und, wie immer, wenn sie jemandem Vergnügen bereitet hatte, war sie froh, es getan zu haben. Sie wusste, was Trost in dieser Welt kostete. Sie wusste, wie selten man ihn bekam.
    Truitt war nur das Tor, durch das sie, auf dem Weg zu ihrem Ziel, gehen musste, aber sie war froh, dass er sich weder als fett noch als abstoßend, weder als grausam noch als tyrannisch, noch als schlichter Dummkopf entpuppt hatte. Eigenschaften, auf die sie bei fast jedem anderen Mann gestoßen war, den sie kennen gelernt hatte.
    Sie wusste nicht, was sie eigentlich für ihn empfinden, oder auch nur, was sie jetzt eigentlich tun sollte. Sie war seine Frau, seine ihm angetraute Frau. Er war unvorstellbar reich. Sie kannte das Ende der Geschichte. Sie wusste, dass Truitt darin nicht vorkam. Aber ihr wurde immer unklarer, wie sie dahin gelangen sollte, wie sie ans Ende kommen und ihre reiche und spektakuläre Belohnung erhalten sollte. Manchmal vergaß sie, dass sie ja schon arbeitete. Dass sie einen Plan verfolgte, dessen Einzelheiten ihr allerdings nicht mehr allzu klar zu sein schienen.
    Sie hatte beinahe das Gefühl, als würde sie nun endlich das Leben so führen, wie andere es taten, als würde sie sich in einer Art von Nebel von einem Ereignis zum nächsten treiben lassen, die Dinge, wie sie nun einmal waren, auf eine bestimmte Art fraglos hinnehmen. Sie war überrascht darüber, wie leicht ihr das fiel. Sie war auch überrascht darüber, welch eine Erleichterung das war.
    Ihre Nachmittage verbrachte sie in der öffentlichen Bibliothek, durch deren hohe Fenster das fahle, schwache winterliche Licht schräg auf die langen Tische fiel, an denen Männer und Frauen, Damen und Herren saßen, Letztere meist jung und gut aussehend mit ihren glänzenden Haaren und roten Wangen, und den Nachmittag damit verbrachten, Romane oder die Zeitung zu lesen oder, mit der Hilfe von Landkarten, Biographien und Wörterbüchern ernsthafte Recherchen anzustellen. Sie mochte diese Menschen. Sie saß dazwischen wie eine von ihnen, eine Fremde für sie, so wie die Leute ja auch Fremde für sie selbst waren, und sie war glücklich.
    Sie las Bücher über Pflanzen. Sie las Edith Whartons Essays über das endlose, saftige Grün und die Schönheit der italienischen Gärten und der Villen, zu denen die Gärten gehörten. »Es gibt dennoch viel zu lernen von den alten italienischen Gärten, und die erste Lektion ist, dass man sie, wenn sie eine echte Inspiration sein sollen, kopieren muss, nicht in jeder Einzelheit, aber in ihrer Anmutung.« Sie las über die singenden Brunnen von Gamberaia, über Petraia mit seiner gewaltigen Loggia und den ausgedehnten Rasenflächen und der Tröstlichkeit von I Mansi und I Tati und über die Straßen von Florenz und Lucca. Sie las über Gartenskulpturen, über das Groteske und das Mythische.
    Sie stellte sich den geheimen Garten vor, das Haus mit den Zitronen, und in ihrer Phantasie sah sie, wie sie wieder wuchsen und am Abend dufteten und

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