Eine verlaessliche Frau
Sie starrte aus dem Fenster, aber da war nichts zu sehen. Als sie mit ihrem Mittagessen fertig war, erbrach sie sich im Bad ins Waschbecken, reinigte es dann mit einem Lappen und warf ihn anschlieÃend aus dem Zug. Er flog steif davon wie ein schwerer, weiÃer Vogel. Sie fühlte sich aufgekratzt. Sie verspürte Dankbarkeit. Sie war sogar jenseits von Dankbarkeit, jenseits allen Verständnisses, und in einer Glückseligkeit verloren, die nicht vom Opium kommen konnte, sie hatte das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, ein Gefühl, das sie bislang noch nie erlebt hatte. SchlieÃlich gab es doch einen Stuhl, auf den sie sich setzen konnte, und Truitt würde überleben.
Zu Hause kam Mrs. Larsen an die Tür gelaufen.
»Jetzt ist er ruhig«, sagte sie. »Er hat eine schreckliche Nacht hinter sich. Hat vor Schmerz geschrien. Hat wegen all dem geschrien, was er im Schlaf gesehen hat. Ich wusste nicht mehr, wo ich war. Er hat den ganzen Morgen geschlafen. Ich musste ihn festbinden.« Mrs. Larsen sah furchtbar aus, alt, zittrig und hatte trübe Augen.
»Gehen Sie jetzt nach Hause, Mrs. Larsen. Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus. Ich habe Medizin mitgebracht.«
Sie durchquerte den langen Wintergarten, die Glasveranda. Die ersten Rosen waren, mit Pappschildchen versehen, aus Saint Louis gekommen, Rosen und Apfelsinenbäumchen, Jasmin, Fuchsien und Orchideen, und warteten darauf, in die riesigen Terrakotta-Töpfe eingepflanzt zu werden, die die Eingangshalle säumten. Hier war es heiÃ, heià und feucht, obwohl drauÃen immer noch Schnee lag, ein blendendes Tuch, allerdings nicht mehr ganz so rein, aber immer noch endlos.
Er saà still in einem Sessel mit hoher Lehne, auf seinen Beinen lag eine Reisedecke, er trug ihre Sonnenbrille. Seine Augen waren geschlossen.
Sie kniete sich neben ihn. Seine Hand strich ihr träge durchs Haar. »Hallo, Emilia«, sagte er leise. »Willkommen zu Hause.«
»Ich bin Catherine, Truitt«, sagte sie. »Catherine Land. Deine Frau. Du hast geträumt.«
»Natürlich. Catherine. Ich habe â¦Â«
»Du hast geträumt.« Sie griff in ihre schwarze Tasche und gab ihm eine der Opiumkugeln. »Schluck das hinunter«, sagte sie. »Schluck das hinunter und träum noch ein bisschen weiter.«
Tagelang kümmerten sich die beiden Frauen um ihn, schliefen entweder abwechselnd oder überhaupt nicht. Zum zweiten Mal badeten sie ihn gemeinsam, hielten ihn im dampfenden Wasser, bis er nicht mehr fror, und rieben ihm endlos den Bauch, damit die schreckliche Kälte schwand. Er war betrunken vom Brandy und vom Opium narkotisiert, so dass er sich gut fühlte, und allmählich ging es ihm wieder besser.
In den Nächten saÃen sie beisammen und sahen zu, wie er sich im Schlaf wälzte.
»Larsen hat sich die Hand abgeschnitten, weil ⦠weil ich ihn gebeten habe, es sein zu lassen.« Es war das erste Mal, dass sie seinen Namen aussprach.
»Was sein zu lassen?«
»Es einfach zu lassen. Vor zehn Jahren. Mich in Ruhe zu lassen. Aber er konnte es nicht ertragen.«
»Sie vermissen ihn.«
»AuÃer ihm hatte ich nie einen anderen. Ja, ich vermisse ihn.«
»Sie gehen ihn aber nie besuchen.«
»Ich kannâs nicht. Es ist meine Schuld.«
Sie saÃen die ganze Nacht schweigend beisammen. Mrs. Larsen hatte über ihren Mann das gesagt, was sie sagen musste. Auf ihre eigene stille Weise hatte sie ihren Mann ebenfalls in das ferne Reich des Wahnsinns und des Todes getrieben.
Catherine nahm Truitt die dunkle Brille ab. Seine Augen waren immer noch von einem kräftigen Blau, aber sie hatten tiefe Augenringe und sahen verschattet und verhärmt aus. Sie waren blicklos, und er verdrehte sie in ihren Höhlen. Die vielen Pusteln auf seiner Stirn begannen abzuheilen. Er würde Narben davontragen. Er sah zehn Jahre älter aus, als hätte er eine Grenze überschritten und würde nie wieder jung oder ganz gesund werden. Sie hatte ihm seine Jugend genommen und ihn, kraftlos und aller Ziele beraubt, dazu gebracht, sich an der Schwelle zum Alter abzukämpfen wie ein gestrandeter Wal.
Als sie ihm die Verbände von den Händen abwickelte, lagen sie still in seinem SchoÃ. Er war weder grausam noch gütig. Er wartete einfach nur auf das, was als Nächstes kommen würde. Er fror nicht mehr so stark, seine Träume wurden milder und weniger heftig, und
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