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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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häufiger tauchten Gestalten darin auf, die ihn umarmten. Morgens, wenn er aufwachte, beschrieb er ihr seine Träume, und sie hörte ihm geduldig zu, obwohl die Träume keinen Sinn ergaben, er die gleichen Träume aber wieder und wieder hatte. Sie waren Erinnerungen an Ereignisse, die er ihr noch nicht beschrieben hatte. Sie waren Ideen, die er gehabt, aber nie umgesetzt hatte. Eben Träume.
    Er kratzte sich nicht mehr auf. Er hatte nicht länger das Gefühl, als würden seine Kleider brennen. Er trank die Suppe und aß die Kräuter. Die Frauen behandelten seine Wunden, und sie konnten spüren, wie er sich veränderte. Sie brachten ihn in sein Bett oben im blauen Schlafzimmer, saßen beieinander und nahmen die Mahlzeiten gemeinsam mit ihm ein. Nach all den Jahren war Mrs. Larsen schließlich bereit, zusammen mit Truitt zu essen.
    Er wollte Austern, und sie ließen ein Fass Austern aus Chicago kommen. Mrs. Larsen rollte es in den kalten Keller und gab ihnen Salzlake und Maismehl, so dass Truitt jeden Abend ein Dutzend fette Austern essen und ein Glas Brandy trinken konnte. Truitt hatte jahrelang nichts getrunken und war jetzt überrascht, dass er diese Sachen wollte, überrascht, dass sie sie für ihn besorgt hatten. Die Frauen aßen keine Austern. Die Frauen tranken keinen Brandy.
    Catherine konnte ihm nichts von dem Baby erzählen. Sie konnte es nicht ertragen, ihm davon zu erzählen, solange er so krank war. Sie hoffte, dass das Baby von ihm war. Sie empfand es so und hoffte, dass sie Recht hatte, denn sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Truitt ihretwegen noch ein zweites Kind aufziehen müsste, das nicht von ihm war. Hatte er nicht, als sie das erste Mal nach Hause gekommen war, mit ihr geschlafen, als sie geblutet hatte? Sie glaubte es. Sie glaubte – so wie sie sich die Wahrheit nach ihren Wünschen zurechtlegte –, dass es keinen anderen Mann als Truitt gegeben und dass es auch die Tage in Saint Louis nicht gegeben hätte.
    Er hatte mit ihr geschlafen, während sie geblutet hatte. Daran erinnerte sie sich jetzt. Es konnte nicht von Antonio sein, denn er ergoss sich nie in ihr, weil seine Angst vor den Folgen viel zu groß war. Es musste von Truitt sein. Er hatte sie neu geschaffen. Ihr Leben hatte noch einmal von vorn angefangen, als sie Saint Louis verlassen hatte, und aus jenem Leben konnte jetzt nichts mehr in ihr wachsen.
    Sie war nie ein gütiger Mensch gewesen. In der Vergangenheit hatte sie andere stets nur als Mittel zum Zweck wahrgenommen, das zu bekommen, was sie haben wollte.
    Truitt war anders, er hatte sie neu geschaffen, und sie konnte nie mehr in ihr altes Leben zurückkehren. Sie behandelte seine Blasen, rieb ihm die Füße ab, schmierte ihm Salbe auf die Stirn und zerrieb Rinde zu einer Paste, die sie ihm auf den Händen verstrich. Sein Haar fiel in Büscheln aus, als sie es bürstete, und sie trauerte darüber. Ihr Schuldgefühl war überwältigend.
    Jetzt endlich konnte sie auch um sich selbst und um ihr rastloses, unstetes, vergeudetes Leben trauern. Sie lag auf einer Rattanliege im sonnigen Wintergarten, ihre neuen Rosen begannen, an den warmen, feuchten Nachmittagen erste Blätter zu treiben, und sie weinte um sich selbst, um ihren Vater und ihre Mutter, um ihre Schwester und um jeden Augenblick, der auf dem langen Weg von dort, wo sie hergekommen war, bis zu dem Platz, wo sie jetzt saß, verloren, vergessen und in lauter Einzelteile zerbrochen war. Ein Leben war eine äußerst zerbrechliche Angelegenheit, und sie hatte geglaubt, sie sei zäh genug, so dass es anders wäre. Jetzt ging sie mit allem viel zartfühlender um, wie mit einer frischen Wunde: mit ihren Erinnerungen an die dunklen Kais von Baltimore und die wohl geordnete Pracht vom Rittenhouse Square, an den Sex, an das Stehlen, die Lügen und den Engel, der vom Himmel herabgekommen war, den Engel, der Alice nicht zu den großen Hauptstädten der Welt getragen hatte, damit sie dort von den Herrlichkeiten hätte überwältigt werden können. Als wäre das alles, das Gute wie das Böse, eine einzige lange, endlose Narbe, die an ihren Armen entlang und über ihre Brust verlief, und als würde sie ihre eigene Haut mit Salben bestreichen, so wie sie jetzt Truitt pflegte.
    Ihre Krankheit war eine seelische, aber sie war nicht unheilbar. Sie musste einfach glauben, dass sie sich tief in ihrem Inneren noch eine

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