Eine verlaessliche Frau
jedes Geräusch in den Wahnsinn trieb, und sie kam zu ihm und kniete sich vor ihn auf den Boden. Sie konnte sein Leiden und ihre eigene Bösartigkeit oder die Ergebenheit, mit der er geduldig ertrug, was mit ihm geschah, schlieÃlich nicht mehr aushalten. Sie kniete sich hin, legte ihm den Kopf in den Schoà und sprach leise, wobei sie in sein müdes Gesicht aufblickte.
»Es ist vorbei«, sagte sie. »Ich kann es nicht.«
»Was kannst du nicht?«
»Ich kann es nicht. Ich kann dir das nicht antun. Du bist alles, was ich habe, alles, was ich je haben werde, und ich kann es einfach nicht. Ich liebe dich so sehr, dass ich mich schäme, wenn du mich ansiehst, wenn mich dein Blick trifft. Aber hier, nimm meine Hand. Es hört jetzt auf. Du wirst weiterleben. Ich werde dich wieder gesund pflegen.«
Er sah sie an, und sein Gesicht war voller Güte.
»Wenn du stirbst, werde ich mein ganzes Leben um dich trauern. Ich werde um dich trauern, wenn sie mich hängen, wenn sie mir die Schlinge um den Hals legen.«
»Ich wollte sterben. Es schien so, als würde ich das auch. Als werde ich es.«
»Nein, das wirst du nicht. Im Moment glaubst du das, aber du wirst nicht sterben.«
»Antonio â¦Â«
»Er wird kommen. Ich verspreche es dir. Er wird kommen. Bis er kommt, bin ich hier. Leb für mich weiter.«
Er streckte die Hand aus und berührte ihr Haar. Er bekam eine Strähne zu fassen und zwirbelte sie zwischen Daumen und Zeigefinger.
Er liebte sie. Er würde weiterleben.
Vielleicht sollte es am Ende doch etwas Licht geben. Vielleicht gab es schlieÃlich doch einen Weg aus der Dunkelheit. Sie hoffte, dass es wahr wäre. Sie war so müde.
20. KAPITEL
⢠⢠â¢
S ie schickte Antonio ein Telegramm. Darin stand: »Komm sofort«, nicht mehr.
Sie pflegte Ralph so aufopferungsvoll, wie sie nur konnte. Weil seine Schmerzen so grässlich geworden waren, wickelte sie seine Hände und seinen Körper in Gaze ein, die sie mit Liniment bestrichen hatte. Es brannte und juckte ihn überall, und die Salbe schien seine Qualen zu lindern. Sie bedeckte sein Gesicht, von dem sich die Haut abschälte, mit Salbe und Gaze. Sie stopfte ihm die Ohren zu, bedeckte seine Augen mit Watte, setzte ihm ihre dunkle Brille auf. Geräusche und Licht bereiteten ihm stechende Schmerzen, der leiseste FuÃtritt war eine Qual. Sie umwickelte ihre Schuhe mit Wolle, so dass ihre Schritte, wenn sie durch die Marmorhallen ging, kaum noch zu hören waren. Sie zog die Vorhänge zu, um das Licht und jegliches Geräusch auszusperren, und band ihn mit Samt- und Baumwollbändern an einen Sessel fest, wenn ihn seine Rastlosigkeit und Demenz nicht stillsitzen lieÃen. Sie zog die Vorhänge zu, und für eine Weile war die weiÃe Welt fort.
Sie verbrannte die Laken, seine Kleidung, die Schuhe und die Badehandtücher. Sie verbrannte und vergrub alles, was er berührt haben mochte, alles, was auch nur die kleinste Spur des weiÃen Pulvers aufweisen könnte. Sie warf sein Rasiermesser, das seines Vaters und die silberne Haarbürste aus Italien fort. Sie verbrannte den Teppich und die schweren, seidenen Bettvorhänge. Sie verbrannte ihre Nachthemden, und während sie das tat, war ihr bewusst, dass der Rauch voll des gleichen Giftes war, dass sie alles, was er berührt hatte, auch berührt hatte, dass er sein eisiges Wasser getrunken und sie auf den Mund geküsst hatte.
Sie trug die blaue Flasche in den Wald und goss das Gift, weit entfernt von jeglichem Gewässer und von den Stellen, wo die Schafe im Sommer grasten oder die Vögel ihre Nester bauten, über Felsen aus. Keinem Lebewesen würde mehr Schaden zugefügt werden.
Sie gab ihm nur warme Milch als Nahrung, damit er sich übergab und sein Schüttelfrost aufhörte. Sie gab ihm Kalkwasser, das das Gift aufsaugen sollte. Sie wickelte ihn in Felle und Decken ein und hielt ihm, während er sich darin erbrach, die Schüssel hin. Sie zuckte nie mit der Wimper.
Sie rief nach Mrs. Larsen. »Ich glaube dem Arzt nicht. Er war und er ist sehr krank. Wir können ihm helfen. Wir haben es schon einmal geschafft.«
»Was fehlt ihm denn?«
»Ich weià es nicht. Ich weià es nicht. Aber der Arzt weià es auch nicht. Er irrt sich. Das ist kein Krebs. Mein Vater ist an Krebs gestorben, und das hier ist etwas anderes. Er begreift, was um ihn herum vorgeht. Mein Vater
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