Eine verlaessliche Frau
dinierten in einem Grandhotel, und Catherine sagte India nicht, dass sie in einem der Hotelzimmer übernachten würde. India hatte einen Bärenhunger, ihre Augen waren weit aufgerissen, die gewaltige Speisekarte wie ein Schutzschild vor ihr. Sie aà Austern, Hummer, eine kalte Suppe und Perlhuhn. Sie trank eine Menge Wein. Catherine aà wenig und trank keinen Wein. Sie fand keinen Gefallen daran.
»Du siehst ganz anders aus«, sagte India, die darauf wartete, dass der zuvorkommende Kellner wieder erschien. »Du siehst wie eine feine Dame aus. Wie â¦Â«, sie nickte mit dem Kopf. »Wie eine von denen da.«
»Er mag es einfach. Es sind einfache Menschen dort oben, nicht so wie wir. Ich versuche, so zu sein, wie er mich haben möchte.«
»Und er gibt dir Geld?«
»Ja.«
»Eine Menge Geld.«
Catherine war es peinlich. »Ja.«
»Gib mir was ab. Du hast einen Schatz, einen Mann, um Himmels willen, er gibt dir Geld. Ich möchte auch Geld.«
»Nicht hier. Aber ja, natürlich, was immer du brauchst.«
»Ich brauche eine Menge. Ich möchte, dass sich ein achtundzwanzigjähriger Mann mit weiÃen Zähnen in mich verliebt. Ich brauche einen Wintermantel und einen kleinen SchoÃhund. Du hast doch bestimmt einen kleinen Hund.«
Catherine lächelte. »Nein. Aber ich habe einen Wintermantel. Du kannst ihn haben, wenn du möchtest. Ich kaufe mir einen neuen. Oder wir kaufen dir einen, der dir gefällt.«
Der Kellner kam mit dem Nachtisch, einem gewaltigen Berg Schlagsahne, Kuchen und Obst. »Du glaubst, das ist die Lösung? Du glaubst, das wird mich hübsch machen oder mir einen lieben Mann verschaffen? Damit könnte ich mir bloà in kalten Nächten einbilden, dass ich einen dieser Männer haben könnte, dass mein Gesicht so hübsch wäre wie deins, dass nicht alles so endlos, dumm und langweilig wäre. Geld. Das wird erst mal reichen.«
Catherine hatte so viel Zeit ihres Lebens auf der anderen Seite des Spiegels verbracht, auf der Seite von India, auf der Seite von Alice. Sie fand es unglaublich, dass nun sie diejenige war, die all die Dinge hatte, die die Menschen wollten. Und dabei wollte sie selbst jetzt nur noch eins, und das Mittel dazu befand sich in ihrer schwarzen Tasche.
Catherine brachte die unscheinbare India den ganzen langen Weg wieder nach Hause und versuchte, ihr den schwarzen Seehundfell-Mantel zu schenken, den sie trug, aber India lehnte ab und sagte, darin würde sie nur wie eine Närrin aussehen. Catherine gab ihr so viel Geld, wie sie konnte, und wusste, dass India es nicht für Drogen, Albernheiten oder Tand ausgeben würde.
Sie verbrachte die Nacht in ihrem schmalen Bett in dem schlichten Zimmer, das sie im Hotel gemietet hatte. Sie dachte an Truitt, an Mrs. Larsen, die die ganze Nacht bei ihm saà und ihm in seinem Kummer beistand. Mrs. Larsen, die nie einen Albtraum gehabt hatte, nicht einmal, nachdem sie zugesehen hatte, wie ihr Mann sich ohne jeden ersichtlichen Grund seine eigene Hand abgehackt hatte.
Catherine träumte von Antonio. Er war wie eine Spinne, überall gleichzeitig. Seine Haut war in ihrer Haut, seine Organe waren mit ihren verbunden. Ihr Herzschlag war sein Herzschlag, ihre Lider flatterten über seinen trüben, schrecklichen, stechenden schwarzen Augen. Er war ihre Leidenschaft und ihr Verbrechen, und plötzlich wachte sie auf.
Sie rauchte eins der Opiumkügelchen des Chinesen, schlief ein und war in der Glückseligkeit, in kühlem Wasser und in den Armen ihrer Mutter und den Tropfen, die im Haar ihrer Mutter zitterten, und dem blühenden Flieder im Mai. Sie begann, von ihrem Garten zu träumen, davon, wie er an Sommerabenden riechen würde, nach Jasmin, der in weiÃer Blüte stand, vom Koi, der im Teich dahinschoss, wenn sie sich darüberbeugte, um Brotkrumen aufs Wasser zu streuen, während Truitt in einem weiÃen Anzug auf einem weiÃen Stuhl da saà und mit einem Kind spielte.
Catherine wachte auf, und da wusste sie, dass sie schwanger war. Sie fühlte sich auf eine genüssliche Weise müde, obwohl sie wusste, dass sie geschlafen hatte.
Vor ihrem Spiegel kämmte sie sich das Haar stramm zurück, zog ihr einfaches Reisekleid an und setzte sich für Stunden in den Zug. Während sie ihr Mittagessen zu sich nahm, fragte sie sich, ob sie wohl noch die Reste ihres roten Reisekleids würde entdecken können.
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