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Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)

Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)

Titel: Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Angst!
    Du musst jetzt tapfer sein, G. Für mich. Für Haley.
    Gina fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und sah nach oben. Schon auf die kleine Trittleiter in ihrer Küche zu klettern, von wo aus sie an das oberste Schrankfach kam, machte ihr Angst.
    Sie nahm die Latte in die linke Hand, griff mit der rechten nach oben und packte die verrostete Sprosse. Nicht mehr als eine gebogene Eisenstange, die man in die Mauer zementiert hatte. Wer mochte wissen, wie lange es diesen Brunnen schon gab und wann man ihn stillgelegt und sich seither nicht mehr darum gekümmert hatte. Gina hatte keine Ahnung, ob die Sprossen ihr Gewicht aushalten würden.
    Sie holte tief Luft und zog sich hoch, bis sie sich auf ihr linkes Bein stellen und aufrichten konnte. Vor ihren Augen drehten sich bunte Kreise, die an den Rändern schwarz wurden. Der Schmerz war unbeschreiblich. Sie versuchte, sich nicht darauf zu konzentrieren, klammerte sich stattdessen an die nächste Sprosse und hing mit ihrem vollen Gewicht an ihrem rechten Arm, als sie das Bein anzog und den linken Fuß auf die unterste Sprosse stellte. Sie hatte es fünfzehn Zentimeter weit aus dem Müllbett geschafft. Ihre Muskeln zuckten unkontrolliert. Sie hatte Magenkrämpfe von dem verdorbenen Essen und dem schmutzigen Wasser. Nur mit Mühe konnte sie verhindern, ohnmächtig zu werden.
    Marissa feuerte sie an. Weiter so, G! Komm schon!
    Ich werde runterfallen!
    Nein, wirst du nicht. Du schaffst es. Mach’s noch mal.
    Gina blickte hinauf zu der nächsten Sprosse. Um danach greifen zu können, würde sie die, an der sie sich festhielt, loslassen müssen. Sie würde den Fuß hochziehen und sich strecken müssen.
    Sie dachte daran, was für eine jämmerliche Figur sie immer im Turnunterricht abgegeben hatte. Marissa war spielend an dem gefürchteten Seil hochgeklettert, das von der Decke hing. Gina konnte kaum eine Treppe hochgehen, ohne zu stolpern.
    Sich an die Sprosse klammernd versuchte sie, ihr Bein so weit wie nötig hochzuziehen. Sie keuchte ein paarmal, dann atmete sie tief ein, hielt die Luft an und schob sich nach oben, streckte die Hand aus und packte die nächste Sprosse.
    Oh Gott, oh Gott.
    Gina schob den Arm durch die Sprosse und klammerte sich daran fest, der Schmerz drohte ihr erneut die Besinnung zu rauben. Falls sie lebend aus diesem Brunnen herauskam, würde sie als Allererstes einen Fitnesstrainer engagieren. Natürlich wäre sie dann mittellos, aber wenn sie in ihrem Auto schlief, könnte sie es sich vielleicht leisten.
    Marissas Gelächter hallte in ihrem Kopf. Du bist eine dumme Gans, Kemmer!
    Zumindest halte ich dich bei Laune.
    Du schaffst es, G. Du schaffst es, und du wirst mit diesem Lance von Ultimate Fitness trainieren.
    Lance, der scharfe Typ mit dem Waschbrettbauch und dem knackigen Hintern?
    Und den strahlend blauen Augen und den engen Shorts.
    Wird er sich in mich verlieben und ich mich in ihn?
    Nein, aber er wird dich vögeln, dass dir Hören und Sehen vergeht.
    Gina erschrak über ihr eigenes Lachen.
    Was zum Teufel gab es da zu lachen?
    Sie hatte noch sieben Meter vor sich.

58
    In dem Karton, den Mendez aus Gina Kemmers Haus mitgenommen hatte, waren Jahre der Freundschaft gesammelt. Viele Jahre.
    Vince breitete den Inhalt auf dem Tisch aus, der eine Wand des Besprechungsraums einnahm. Die Kisten mit den Akten zu den Sekundenklebermorden hatte er unter dem Tisch verstaut. Eins nach dem anderen.
    Ginas Karton enthielt Fotos in Bilderrahmen, Fotoalben und Fototaschen aus dem Drogeriemarkt. Gina Kemmers Leben komprimiert auf 9 x 13 und 13 x 18.
    Vince ging die Fotos durch, teilte sie, so gut es ging, in Gruppen ein – Familie, Schule, Freunde, Urlaub.
    Gina stammte aus einer netten, normal wirkenden Familie. Dad trug einen Bürstenschnitt. Mom trug eine Schmetterlingsbrille. Es gab drei Kinder: zwei Jungen und ein Mädchen – die Jüngste. Sie wohnten in einem braunen Ranch-Style-Haus in Reseda, nach der schnörkeligen Handschrift auf der Rückseite: Reseda September 1969. Sie machten Ferien in Big Bear und Yellowstone. Gina mit Minni Maus in Disneyland. Robbie, Dougie und Daddy bei einem Spiel der Dodgers 1972.
    Schon seltsam, welche Dinge ein Leben ausmachten. All diese kurzen Augenblicke aneinandergeknüpft. Ein weiteres Weihnachtsfest, ein weiteres Ostern, ein weiteres Halloween.
    Er dachte an seine Familie und wie viele solcher Fotos seine Töchter besitzen mochten. Fotos ohne ihn. Eine vertraute schmerzende Leere machte sich

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