Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
wahrscheinlich ein halbes Monatsgehalt von Mendez gekostet hatte. Um den Hals hatte sie sich einen gemusterten Seidenschal geschlungen und den raffinierten Knoten in den offenen Kragen ihrer gestärkten weißen Bluse gesteckt. Dazu trug sie Handschuhe aus so feinem Ziegenleder, dass ihr wahrscheinlich gar nicht aufgefallen war, dass sie vergessen hatte, sie auszuziehen.
Die Stiefel machten nicht den Eindruck, als hätten sie schon einmal das Innere einer Scheune gesehen oder wären in einen Steigbügel gestiegen.
»Kennen Sie jemanden in Lompoc, Mrs Bordain?«, fragte Mendez.
»Nein.«
Lompoc hatte nicht die richtige Postleitzahl für Leute wie die Bordains.
»Das Paket ist in Lompoc abgestempelt worden.«
Die Stadt war etwa so groß wie Oak Knoll und lag nordwestlich von Santa Barbara. Das Einzige, was sie für Mendez gegenüber anderen auszeichnete, war die staatliche Justizvollzugsanstalt.
»Sie werden doch bestimmt Fingerabdrücke auf der Schachtel finden, nicht wahr?«, fragte Milo Bordain.
»Mit etwas Glück«, sagte er. »Mrs Bordain, haben Sie irgendeine Idee, warum der Täter das Paket gerade Ihnen schicken sollte?«
»Nein! Natürlich nicht! Das ist mir alles unbegreiflich. Warum sollte jemand Marissa umbringen? Sie war wie eine Tochter für mich. Und warum sollte mir jemand dieses – dieses Ding schicken?«
»Vielleicht gerade deswegen«, sagte Mendez, »weil sie wie eine Tochter für Sie war. Könnte jemand eifersüchtig oder verärgert gewesen sein, weil Sie sie förderten?«
»Vermutlich«, sagte sie. »Es treten dauernd Leute an mich heran, die sich Geld von mir für irgendetwas erhoffen.«
»Erhalten Sie auch Briefe von solchen Bittstellern?«
»Ja. Eine von Bruces Sekretärinnen kümmert sich darum.«
»Ich würde diese Briefe gerne sehen, wenn es möglich ist«, sagte Dixon. »Vielleicht hegt ja jemand Groll gegen Sie.«
In diesem Moment fing der Wasserkessel an zu pfeifen, und Milo Bordain zuckte zusammen, als hätte jemand einen Schuss auf sie abgegeben. Mit zitternden Händen goss sie Wasser in eine Tasse mit einem Teebeutel, und der Geruch von Pfefferminze verbreitete sich in der Küche. Die Tasse klapperte auf der Untertasse, als sie sie zum Küchentisch trug und sich setzte.
»Das Ganze ist ein einziger Albtraum«, sagte sie. »Ich war gerade von dem Treffen wegen Haley zurück, als der Postbote kam. Ich war sowieso schon völlig aufgelöst. Ich werde alle nötigen Formalitäten regeln, damit wir sie zu uns nehmen können. Morgen kommt die Frau vom Jugendamt und sieht sich das Haus an. Haley sollte bei Menschen sein, die sie kennt und denen sie etwas bedeutet. Unter all den Fremden muss sie doch Angst haben. Hat sie etwas gesagt über das, was passiert ist?«
»Bislang nicht«, sagte Dixon. »Sie war einige Zeit bewusstlos. Vielleicht wird sie sich nie daran erinnern.«
Bordain seufzte. »Das hoffe ich für sie. Das arme kleine Ding.«
»Wenn sie sich erinnert und uns einen Namen nennt oder einen Hinweis gibt«, sagte Mendez, »dann könnten wir Miss Fordhams Mörder fassen. Ist das nicht in Ihrem Sinne?«
»Natürlich, aber Haley ist doch erst vier Jahre alt. Würde sie dann vor Gericht aussagen müssen? Gilt ein vierjähriges Kind als glaubwürdige Zeugin?«
»Ich hatte vor Jahren einen Fall in L.A. County«, sagte Dixon. »Einen Dreifachmord – eine Mutter und zwei ihrer Kinder. Überlebt hatte nur ein zweiundzwanzig Monate alter Junge, den die Mörder am Leben ließen, weil sie dachten, er könnte noch nicht sprechen. Tja, Pech gehabt. Der Kleine konnte sehr wohl sprechen, tat das aber nicht vor Fremden.
Er hatte ihre Namen gehört. Er hatte alles genau gesehen. Da er nicht als Zeuge vor Gericht auftrat, mussten wir das, was er uns sagte, anderweitig beweisen. Aber der Kleine war der Schlüssel zu dem Fall. Haley könnte dieselbe Bedeutung für diesen Fall haben.«
»So wird sie nie ein normales Leben führen können«, sagte Milo Bordain. »Die Leute werden in ihr immer das Mädchen sehen, deren Mutter ermordet wurde. Das wird Haley für immer begleiten.«
»Anne Leone hilft ihr, damit fertigzuwerden«, sagte Dixon.
Milo Bordain runzelte die Stirn. »Ich mag die Frau nicht, sie spielt sich fürchterlich auf und versucht ständig, andere zu manipulieren.«
»Ich kenne Anne recht gut«, sagte Dixon. »Sie tritt leidenschaftlich für Kinder ein. Haley könnte nicht in besseren Händen sein.«
»Sie wäre bei mir auch in guten Händen«, widersprach Milo Bordain,
Weitere Kostenlose Bücher