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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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konnte spüren, wie ihr Herz strenge, beharrliche Schläge schlug. Er hatte gedacht, nahe liegend genug, dass es ihr Mann war. Das musste ihr genauso gegangen sein. Und irgendwann würde das natürlich auch passieren, wenn es schon lange nicht mehr darauf ankam. »Würden Sie gern Ihr Bett aufgeschlagen sein«, sagte sie trübe.
    Er schaute sich in dem verdunkelten Zimmer um. Eine hohe Standuhr aus Holz und Messing mit einem unbewegten Messingpendel an der Wand. Ein hübscher Dekorationskamin mit Sims. Ein goldgerahmter Druck, Caravaggio, Die Berufung des Heiligen Michael . Er hatte das Bild im Louvre gesehen. Ein Glas Wein wäre jetzt schön, dachte er. Er sah sich nach einer Flasche auf einem Tisch um, sah aber keine. Jenas Kleider waren alle weggeräumt, als lebte sie schon seit Monaten hier, und so mochte sie die Dinge auch: aufgeräumte Flächen, eine Aura der Dauerhaftigkeit, als hätte alles, sie selbst eingeschlossen, eine lange Geschichte. Das war ihre Art der Liebenswürdigkeit: die Dinge solide und verlässlich erscheinen zu lassen.
    »Hast du jemals jemanden umgebracht?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte Wales. Sie sah ihn gern als Spion, nicht als Journalisten. Auf diese Weise machte sie ihn rätselhaft und brachte sich aus dem Gleichgewicht. Sie hatte sich wenig danach erkundigt, was er eigentlich machte. Zu Anfang, als sie einen trinken gegangen waren, hatte sie sich interessiert gezeigt. Danach nicht mehr.
    »Würdest du es tun?«
    »Nein«, sagte Wales. »Hattest du jemand Bestimmtes im Auge?« Er merkte, er trug immer noch sein Jackett und seinen Schlips.
    »Nein«, sagte Jena und lächelte und riss die Augen auf, als wäre es ein Scherz gewesen.
    Zum zweiten Mal in einer Stunde dachte er an den Tod der Frau, den er auf der Ardmore Street mit angesehen hatte, an den Verlauf dieser Ereignisse bis zu ihrem Ende. So viele Möglichkeiten, so viele Chancen auf einen besseren Ausgang waren in dieser Zeitlupe eingefangen. Das sollte einem doch ermöglichen, das Ende von Ereignissen zu sehen, bevor es dazu kam, um einen schlechten Ausgang zu verhindern. Was sich auch auf Liebesaffären übertragen ließ.
    »Das ist überraschend«, sagte Jena. »Aber das liegt daran, dass du Journalist bist. Wenn du ein echter Schriftsteller wärst, wärst du anders.«
    Sie lächelte ihn wieder an, und er erhaschte das winzige, abgelegene Gefühl, dass er sie lieben könnte, auf diese Weise zu dem Rätsel vordringen, obwohl die Gelegenheit dafür bald vorbei war. Doch ihre Bereitschaft, das Falsche zu sagen, zu prahlen – das gefiel ihm. Sie war nicht gezeichnet von Erfahrung, sondern befreit durch einen Mangel daran.
    »Was machst du in Europa?«, sagte sie.
    »Ich schau mir Dinge an und schreibe dann darüber. Sonst nichts.«
    »Bist du berühmt?«
    »Journalisten werden nicht berühmt«, sagte er. »Wir machen andere berühmt.« Sie hatte keine Ahnung von Journalisten. Auch das gefiel ihm.
    »Eines Tages musst du mir erzählen, was das Merkwürdigste ist, das du je gesehen und dann beschrieben hast. Das wüsste ich gerne.«
    »Eines Tages mache ich das«, sagte Wales. »Versprochen.«
    Der Liebesakt war ereignisreich. Zuerst war sie fast vertändelt, dabei allerdings mäkelig, irgendwie theatralisch, alles wirkte beinahe etwas routiniert. Und dann mit der Zeit – eigentlich gleichzeitig – versunken, zielstrebig, freigebig, so, als wäre nichts vorher festgeschrieben und alles Neuland, egal, was sie machten. Sie konnte das Neue mit großer Natürlichkeit entdecken, und ihn berührte die Erfahrung, dass etwas Neues mit jemand anderem möglich war: dass man sich seiner selbst bewusst wurde, dadurch in sich selbst versinken konnte und dann noch eine ganze Zeit weitermachen. Er sträubte sich gegen nichts, verzichtete auf nichts und verlor die ganze Zeit nicht die Nähe zu ihr. Genau das wollte er.
    Und als es vorüber war, hatte er lange keine Worte. Sie schlief bei eingeschalteter Lampe auf dem Nachttisch, eine Hand über den Augen. Und er dachte: Wo in meinem Leben ist mir das abhanden gekommen? Wie soll ich das behalten? Und dann: Gar nicht. Das ist nicht zum Behalten. Man nimmt es, wenn es einem gegeben wird.
    Die Uhr neben der Lampe zeigte 9:19 an. Wales konnte das Lösemittel und die Hyazinthen auf ihrem Arbeitstisch riechen, scharfe, trübe Düfte, die durch den warmen Raum schwebten. Draußen waren Stimmen auf dem Korridor zu hören. Zweimal klingelte ein Telefon. Er duschte, ging dann ans Fenster, während sie

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