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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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war – bis all das plötzlich anfing, wahr zu erscheinen, einen flüchtigen Augenblick lang sogar interessant. So dass die Polizei schließlich, ohne es präzise zu verkünden, seine Geschichte schluckte. Und als sechzig weitere Minuten vergangen waren, drei Dokumente ausgefüllt und unterschrieben, seine Adresse notiert, sein Führerschein zurückgegeben, die Namen der Polizisten und ihre Telefonnummern angegeben, da teilten sie ihm mit, er dürfe nun gehen. Er bemerkte, dass es drei Uhr nachmittags war.
    Allerdings ging er nicht, ohne vorher kurz mit Ed zu sprechen. Die Polizistin hatte ihn gefragt, ob er das wolle, wenn sie ihn anriefe, und er hatte das Gefühl gehabt, dass ihr das lieber gewesen wäre und dass es schließlich, in Anbetracht seiner Situation, seine Pflicht war.
    »Ich versteh das alles gar nicht«, sagte Ed mit langsamer, vor Rührung heiserer Stimme. Howard stellte sich vor, wie Ed in einem dunklen Zimmer saß, ein verbitterter, unordentlicher Mann (mehr oder weniger derselbe, mit dem er sich in seiner Fantasie geprügelt hatte – Lon Chaney Jr.). »Was hatten Sie denn da zu suchen?«
    »Ich bin ein Freund«, sagte Howard feierlich. »Wir sind zusammen hochgefahren.«
    »Das ist alles?«, sagte Ed. »Ein Freund?«
    »Ja«, sagte Howard und machte eine kleine Pause. »Das ist alles. Praktisch.«
    Ed lachte, ein trockenes, unfrohes Lachen, und dann, möglicherweise – Howard war sich nicht sicher, aber möglicherweise –, schluchzte er.
    Howard wollte Ed noch mehr sagen, aber keiner von ihnen schien noch Worte zu haben, nicht einmal »es tut mir Leid«. Und dann legte Ed einfach auf.
    Aus Gründen, die Howard nicht ganz klar waren, bot ein Corporal von der Highway-Polizei Arizonas ihm an, ihn bis zur Haltestelle des Busses nach Phoenix zu bringen. Nämlich bis zum SCHLAG ZU, WERD REICH . Sie würden spät eintreffen. Aber Howard hatte noch die Drink-Coupons, falls es zu einer Wartezeit kam.
    Auf der Fahrt ins Tal wollte der Beamte über Gott und die Welt reden, aber anscheinend nicht über das, was sich an diesem Tag ereignet hatte. Er war ein dicker, breitschultriger, dunkelhaariger Mann in den Fünfzigern mit einem faltigen, eckigen, attraktiv gebräunten Gesicht, und seine Uniform mit dem spitzen Trooper-Hut füllte den Fahrersitz in seinem Wagen voll aus. Er hieß Fitzgerald, und ihn interessierte, dass Howard Immobilien verkaufte, genau wie seine verstorbene »Bekannte« auch. Trooper Fitzgerald sagte, er sei vor vielen Jahren aus Pittsburgh nach Arizona gezogen, weil es ihm da im Osten zu eng geworden sei. Immobilien, davon war er überzeugt, seien der Maßstab, der Schlüssel zu allem. Jedermanns Lebensqualität würde in Immobilienwerten bemessen, sagte er, nur umgekehrt: Je höher der Preis, desto geringer die Lebensqualität. Allerdings gebe es eine traurige Wahrheit: Nicht mehr lange, und alles, was man sehe (Fitzgerald zeigte nach vorn durch die Windschutzscheibe, dorthin, wo Howard am Morgen gesehen hatte, wie sich die vielfarbige, vielschichtige, wunderschöne Wüste auftat, die jetzt lila-grau dalag), all das bestehe bald nur noch aus Häusern und Parkplätzen und Einkaufszentren und Büros, und dann kämen auch alle Übel der Welt, die daher rührten, dass man zu dicht aufeinander wohnen müsse: Kriminalität, Armut, Feindseligkeit und Falschheit und kaum Luft zum Atmen. Diese Übel würden wie eine Plage über sie kommen, und dann dauere es nicht mehr lang bis zum Weltuntergang. Die Polizei der ganzen Welt könne diesen Ansturm nicht aufhalten, glaubte er. Und nickte in tiefer Übereinstimmung mit sich selbst.
    »Dann sind Sie wohl ziemlich gläubig, wie?«, sagte Howard.
    Trooper Fitzgerald trug seinen Hut tief auf seinem großen eckigen Kopf, fast berührte er seine Sonnenbrille. »O nein, nein, nein«, sagte er, warf Howard einen Blick zu und entblößte seine großen geraden weißen Zähne, die sich in seine Unterlippe gruben. »Da brauchen Sie kein Buch, um zu wissen, was kommt. Sie müssen bloß die Leichen zählen können.«
    »Da haben Sie vermutlich Recht«, sagte Howard und fühlte sich plötzlich unbehaglich in seinen Shorts, in Gegenwart dieses Mannes. Deshalb schaute er seine nackten Knie an und sah die aufgeschürften Stellen wieder, die er sich beim Sprung über die Mauer geholt hatte, nachdem Frances gestorben war. Beim Versuch wegzulaufen. Es war peinlich. Er dachte an Frances, wie sie sagte, er würde sich die ganze Rückfahrt nach Phoenix bei ihr bedanken. Er

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