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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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Einmal hatte sich ein Schnürsenkel gelöst, aber das war ein Versehen, und nachdem er ihn zugebunden hatte, erzählte er mir, was die Weisen über denjenigen sagen, der in die Worte der Tora so versunken ist, dass er seine Erscheinung vernachlässigt.
    Es war etwas Positives.
    – Warum lädst du denn nie Freunde ein?, fragte mich meine Mutter manchmal. – Du bist so ein Einzelgänger.
    Mein Vater zog die Hose hoch und wischte sich die Sägespäne von der Brust. Ich hob das Brett über Kopfhöhe, um es auf eine Ebene mit dem Sägetisch zu bringen, dann stellte mein Vater die Säge an. Ephraim, der das Geräusch der Säge nicht gewohnt war, stand jetzt in der Auffahrt, die Finger in den Ohren.
    – Sachte!, brüllte mein Vater durch das Kreischen der Säge. – Höher! Genau so! Sachte!
    Mein Vater grinste höhnisch durch das Sägemehl; die Säge zitterte, das Brett rüttelte. Wütende Splitter bohrten sich mir in die Hand, während ich versuchte, die heftigen seitlichen Bewegungen auszugleichen, die, wie ich wusste, die Kanten des Bretts versengten. Als das Brett endlich ganz durch die Säge war, nahm mein Vater die Schutzbrille ab und stellte die Säge aus. Ephraim nahm die Finger aus den Ohren. Mein Vater drehte das Brett auf die Seite und prüfte die schwarzen Einbuchtungen auf dessen ganzer Länge.
    – Scheißdreck, sagte er.
    Ephraim steckte sich wieder die Finger in die Ohren.
    – Was ist eine Nutfräse?, fragte ich.
    – Jetzt nicht, sagte mein Vater.
    Wir trotteten wieder hinein, und Ephraim rief seine Mutter an. Wir gingen mit meiner Steve-Austin-Puppe vors Haus und warteten auf sie.
    – Wer ist das?, fragte Ephraim.
    – Steve Austin, sagte ich.
    The Six Million Dollar Man war meine Lieblingssendung. Ich hatte schon vor Wochen um ein Autogramm von Steve Austin gebeten, aber es war noch nicht gekommen.
    – Man soll nicht fernsehen, sagte Ephraim. – Mein Vater sagt, es ist ein Werkzeug der bösen Neigung.
    – Ich weiß, sagte ich.
    – Warum hat denn dein Vater so viele Werkzeuge?, fragte Ephraim.
    – Er baut Sachen, sagte ich.
    – Warum?
    – Weil es ihm Spaß macht.
    – Warum?
    – Weiß ich nicht, sagte ich. – Weil es cool ist.
    – Stimmt gar nicht.
    – Doch.
    – Mein Vater sagt, alles, was einem Zeit wegnimmt, um Gott zu dienen, ist falsch, sagte Ephraim.
    – Er baut einen Toraschrein, du blöder Idiot.
    Das brachte ihn eine Weile zum Schweigen, aber nur so lange, bis mein Vater ohne seine Kipa vorbeiging. Das war gut für das Projekt – er war zur schwereren Rahmungsarbeit vorgedrungen –, aber schlecht für mich.
    – Warum trägt dein Vater denn nicht seine Kipa?, fragte Ephraim.
    – Weiß ich nicht, sagte ich.
    – Mein Vater sagt, wenn man nur vier Schritte ohne die Kipa geht, ist es so, als würde man sagen, dass man sich vor Gott nicht fürchtet.
    – Weiß ich.
    – Wie kommt es dann, dass er keine trägt?
    – Weiß ich nicht.
    – Fürchtet er Gott?
    – Weiß ich nicht.
    – Sollte er aber.
    – Weiß ich.
    Mein levitisches Blut begann zu kochen.
    – Warum flucht er?
    – Weiß ich nicht.
    – Sollte er aber nicht.
    – Weiß ich.
    Schwanzlutscher.
     
    Ein Bruder meiner Mutter war ein berühmter Rabbi. Er hieß Onkel Nathan. Ihr anderer Bruder war ebenfalls ein berühmter Rabbi. Er hieß Onkel Mendel. Onkel Nathan lebte in New York, Onkel Mendel in Los Angeles. Beide hatten sie den gleichen Ziegenbart. Beide schrieben Bücher. Onkel Nathan war auch Arzt. Manchmal nannte er sich Rabbi Doktor, manchmal auch Doktor Rabbi. Onkel Mendel war kein Arzt, aber er war der Rabbi einer sehr großen Synagoge in Los Angeles.
    – Wisst ihr, wer in meine Synagoge kommt?, sagte er, wenn er zu Besuch war. – Alan Alda.
    – Wow!, sagte meine Mutter.
    Ich wusste nicht, wer Alan Alda war.
    – Aus dem Fernsehen, setzte sie hinzu. – Weißt doch. Die Sendung gefällt dir doch so.
    – Großer Spender, sagte mein Onkel.
    Als für die Fertigstellung des Toraschreins nur noch ein Sonntag blieb, machte meine Mutter Pläne für einen Besuch bei Onkel Nathan in Manhattan.
    Mein Vater drückte auf die Hupe und brüllte die anderen Autos an.
    – Vollidiot!, rief er.
    – Pferdearsch!
    – Jetzt seht euch mal diesen Blödmann an. Seht euch bloß diesen Blödmann an!
    – Wie wird Rigips gemacht?, fragte ich.
    – Ich hasse diese gottverfluchte Stadt, grummelte mein Vater.
    – Macht man mit einer Gehrungssäge dasselbe wie mit einem Langlochfräser? Denn wenn man das macht, woher weiß man dann,

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