Eine Vorhaut klagt an
hineinzusehen.
Rabbi Goldfinger saß hinter seinem Schreibtisch, ihm gegenüber standen Avrumi und ein Riese mit dichtem Bart in einem dunkelblauen Anzug und einem grauen breitkrempigen Filzhut.
– Avrumis Vater, flüsterte jemand.
Avrumi hatte geweint. Rabbi Goldfinger redete, aber wir konnten nicht verstehen, was er sagte. Er sah, dass wir hereinschauten, aber er schloss die Tür nicht. Er redete weiter mit Avrumis Vater, der den Kopf schüttelte und sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen rieb, bis er unvermittelt den Arm zurückzog und Avrumi so kräftig auf den Hintern schlug, dass Avrumi gegen die scharfe Kante von Rabbi Goldfingers Schreibtisch gestoßen wurde. Avrumi fuhr herum und hielt sich das Gesäß, und da sah er, dass wir hereinschauten. Er versuchte, ein komisches Gesicht zu ziehen, doch sein Vater hob die Hand über seinen Kopf, als wollte er erneut zuschlagen, und Avrumi zuckte zusammen. Rabbi Goldfinger zwirbelte weise seinen Bart und fixierte uns, die wir von der Tür aus zusahen.
– Keine Aveiras ?, brüllte Rabbi Goldfinger uns an. – Ist da einer frei von Aveiras ?
Wir gingen weiter.
Aveiras sind Sünden.
Der Schrein war großartig.
Mein Vater hatte den Kasten so gebaut, dass der Blick auf die heiligen Rollen bei offenen Türen von keiner Mittelstrebe behindert wurde. In hohen goldenen hebräischen Lettern hatte mein Vater oben am Schrein das Bibelwort »Wisse, vor wem du stehst« geschrieben, und in diesen goldenen Lettern fing und spiegelte sich das flackernde Licht der Ner tamid , der Ewigen Kerze, die, immerzu brennend, über dem Podium des Kantors hing. Ein tiefblauer Samtvorhang, abgesetzt mit silbernen und goldenen Paspeln, schmückte die Front, und in der Mitte, wo sich die beiden Hälften des Vorhangs trafen, standen zwei goldene Löwen neben den beiden Tafeln mit den Zehn Geboten. Der Schrein kam mir noch immer nicht heilig vor: Ich hatte Angst um meinen Vater, fürchtete, dass jemand die Nichtheiligkeit des Schreins entdeckte und er noch einmal von vorn anfangen musste. – He , würde der rufen, – das ist ja bloß Holz! , doch der Schrein war schön, und er füllte die Wand aus, und durch ihn wirkte Rabbi Blonsky, der daneben auf seinem neuen Lederstuhl saß, wie ein Kind, wie ein kleiner Junge, der mit den Gewändern eines Weisen Verkleiden spielt.
An dem Tag sang mein Vater lauter, als ich ihn je hatte singen hören. Er scherzte mit Dr. Kaplan. Er lachte mit Dr. Becker. Er schüttelte, heftig, Dr. Malinowitz die Hand. Er wirkte so glücklich, wie er es bei Rickel’s war, allerdings achtete er darauf, keine Heimwerkerwitze zu erzählen. Schließlich wurde es Zeit für die Lesung aus der Tora, und die gesamte Gemeinde erhob sich. Schweigen erfüllte die Synagoge, als Gottes Heiliger Geist auf dem Schrein ruhte, den mein Vater gebaut hatte. Der Kantor warf den Kopf zurück und trug die Segnungen der Tora vor. – Amen, sagte die Gemeinde. Dann schritt er zum Schrein und zog den schweren blauen Vorhang beiseite. Alle beteten laut, sangen und hießen die neue Tora sowie den neuen Toraschrein, in dem sie ruhte, willkommen. Der Kantor näherte sich den Türen, nahm den Griff und zog.
Nichts.
Er zog wieder.
Nichts.
Er zog ein drittes Mal, fester, so dass ihm der Gebetsschal von der Schulter rutschte und er mit der anderen Hand seine Kipa auffangen musste. Rabbi Blonsky eilte hinzu und versuchte sein Glück, doch die Tür wollte sich nicht öffnen. Mit einer Hand hielt er die Kipa auf dem Kopf fest, mit der anderen versuchte er es erneut, kräftiger. Der Schrein kippelte nach vorn.
– Holla!, riefen einige Männer in der ersten Reihe und brachten sich in Sicherheit.
Rabbi Blonsky wandte sich der Gemeinde zu und zuckte die Achseln, um dann die Hand hochzuheben und sie nach links und rechts zu drehen, als öffnete er ein Schloss. Gibt es einen Schlüssel zu diesem verdammten Ding? , machte er mit dem Mund.
Manche lachten auf.
Mein Vater lief rot an und bedeutete Rabbi Blonsky, die Türen von oben aufzuziehen. Um einen ungehinderten Blick auf die Toras zu gewähren, konnte es keine Mittelstrebe geben, und weil es keine Mittelstrebe gab, mussten die Türriegel oben an den Türen angebracht werden. Rabbi Blonsky sah meinen Vater gestikulieren, dachte aber, er gebe ihm zu verstehen, der Schlüssel liege auf dem Schrein, und so tastete er auf der Decke des Schreins nach einem Schlüssel, den es nicht gab, zu einem Schloss, das es nicht gab.
Dr. Frankel lachte. Dr.
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