Eine Vorhaut klagt an
welcher …
– Jetzt nicht, sagte er.
Ich fühlte mich in der Wohnung meines Onkels immer unwohl, und meinem Vater ging es, wie mir schien, genauso. Onkel Nathan war unlängst Rektor einer der größten Jeschiwe im ganzen Land geworden. Vor seinem Wohnblock war ein Mann, der einem die Tür öffnete; ein weiterer in der Eingangshalle fragte einen nach dem Namen, telefonierte dann nach oben und sagte: »Die Auslanders sind da … Sehr gern«; und dann einer, der in dem altmodischen Fahrstuhl saß und die Metalltüren schloss und einen großen Griff umlegte, mit dem der Fahrstuhl auf- und abwärts fuhr. Mein Onkel hatte ein Dienstmädchen und eine Limousine und einen Fahrer. Es waren alles Schwarze. Seine Wohnung hatte drei Stockwerke. Sie waren alle aus Marmor. Kein Rickel’s.
– Das nennt man ein Triplex!, sagte meine Mutter, als wir im Fahrstuhl zur Wohnung meines Onkels hinauffuhren.
Der Levite in mir begann zu brodeln. Was war denn schon so toll daran? Er war also Rabbi? Und Ephraims Vater war Rabbi? Na und? Was taten die denn überhaupt? Ich sah meinen Onkel immerzu nur Hände schütteln. Mein Vater baute Tische. Er baute Veranden.
Der Fahrstuhlmann lächelte uns zu.
– Ich habe ein Triplex von innen überhaupt noch nie gesehen , sagte meine Mutter zu meinem Vater. – Du?
– Jam, bam, biddy-biddy bam, sagte er.
Meine Tante empfing uns an der Tür.
– Wisst ihr, wer da wohnt?, flüsterte sie und zeigte auf die Wohnungstür gegenüber. – Harrison Ford.
– Wow!, sagte meine Mutter. – Der Filmstar?
Meine Tante nickte.
– Luke Skywalker, sagte sie.
Er war Han Solo.
– Hast du den Film gesehen?, fragte mich meine Mutter.
Ich fragte mich, ob Harrison Ford zu seinen Gästen an die Tür kam. Weißt du, wer da wohnt, Chewbacca? Ein Rabbi.
– Nein, log ich.
– Natürlich hast du ihn gesehen, sagte meine Mutter.
Ich zuckte die Achseln. Meine Tante bat uns in die Küche, um uns etwas zu essen anzubieten.
– Junge, Junge, sagte meine Mutter, – hier passen ja drei von unseren Küchen rein, was, Shal?
Meine Mutter blieb mit meiner Tante in der Drei-Küchen-Küche, während ich hinter meinem Vater her ins gemütliche Zimmer trottete. Die dunklen Wände waren von Regalen gesäumt, die sich unter Büchern bogen. In der Ecke stand ein Flügel, auf dem nie jemand spielte, auf dem Tisch vor der Couch (– Sofa , flüsterte meine Mutter) lag ein Stapel Bücher, die nie jemand las. Alle drehten sich um Israel. Eines um Kunst. Es hieß Kunst in Israel . Mein Vater setzte sich auf die Couch, legte die Hände hinter den Kopf und gab sich locker – ganz und gar nicht überzeugend.
– Jam, bam, biddy-biddy bam, sagte er.
Scheinbar Stunden später ging die Tür zum Arbeitszimmer meines Onkels auf, und ein Mann mit schwarzem Hut und schwarzem Anzug trat heraus. Ihm folgte mein Onkel, er klopfte ihm auf den Rücken und reichte ihm seinen Mantel. Beide rauchten Zigarren, und im Foyer blieben sie stehen und schüttelten sich die Hand. Mein Vater stand auf, richtete seine Krawatte und stopfte sein Hemd in die Hose, doch mein Onkel nahm den Mann an der Schulter, drehte ihn weg und führte ihn an uns vorbei zur Wohnungstür, wo sie sich erneut die Hand schüttelten, und der Mann ging.
Mein Vater verschränkte die Hände auf dem Rücken, ging zum Regal und betrachtete Die Lehren von Rabbi Soloveitchik , als sei er nur deswegen aufgestanden.
– Jam, bam, biddy-biddy bam, sagte er.
Hinterm Rücken meines Vaters zeigte mein Bruder auf ihn und lachte lautlos.
– Großer Spender, sagte mein Onkel zu meiner Mutter, als sie ins gemütliche Zimmer kam. Er gab meinem Vater die Hand. Er gab meinem Bruder die Hand. Er gab mir die Hand. Er setzte sich.
– Also, sagte er zu meinem Vater, – was gibt’s Neues bei euch?
Ich wartete darauf, dass jemand den Schrein erwähnte.
– Was es bei uns Neues gibt? Meine Mutter lachte. Dann, sehr bedeutungsvoll: – Sag, Nathan, wie läuft’s in der Jeschiwe?
– Nun, begann mein Onkel.
Es dauerte eine Weile, bis er geendet hatte.
Die Kinder Levi taten, wie ihnen Mose gesagt hatte, und fielen des Tages vom Volk dreitausend Mann.
Mein Vater tat mir leid. Ich fragte mich, wie es wohl war, in etwas richtig gut zu sein, das niemand richtig gut fand. In einer Welt, die die Menschen nach dem Kopf beurteilte, die Hände gut gebrauchen zu können. In einer Welt, die vor Wortklaubern, Bettlern und Händeschüttlern niederkniete, ein Schöpfer zu sein. Allmählich wollte ich
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