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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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selbst die Erde überfluten.
    Ich wollte gehen.
    Ich wollte zu Rickel’s.
    – Wisst ihr, wer gestern hier war?, fragte mein Onkel. – Herman Wouk.
    Schwanzlutscher.
    – Der Schriftsteller?, fragte meine Mutter.
    Als wir gingen, war es beinahe elf Uhr, und weit nach Mitternacht, als wir in Monsey ankamen. Mein Vater öffnete die Garagentüren, zog das Hemd aus und machte sich wieder an die Arbeit.
    – Er ist schon was Besonderes, sagte meine Mutter, als wir ins Haus gingen.
    Ich nickte.
    – Und diese Wohnung, fuhr sie fort. – Also, hat man so was schon gesehen?
     
    In der Woche darauf ging mein Vater ohne mich in die Synagoge und baute den Toraschrein ein, bei dem ich ihm geholfen hatte. Am selben Tag packte mich Avrumi Mendlowitz an den Eiern.
    Ich war nicht darauf gefasst. In der Klasse der tägliche Wettkampf mit Ephraim, nach Hause rennen und nachsehen, ob Steve Austin auf meinen Brief geantwortet hatte, mir endlos Fragen zum Tischlern ausdenken, um meinen Vater davon abzuhalten, meinen Bruder umzubringen, und bis spätabends noch am Toraschrein arbeiten – schleifen, beizen, leimen, nageln –, da versagte eben auch mal was.
    Der Termin für den Toraschrein war Freitag, und je näher der rückte, desto schlimmer wurde mein Vater. Montagabend warf er meinen Bruder aus dem Haus und sagte, er solle nie mehr wiederkommen. Meine Mutter ging dazwischen und sagte: – Bitte, doch mein Bruder schnappte sich seinen Rucksack und rannte zur Hintertür hinaus. Meine Mutter fuhr stundenlang herum und suchte ihn.
    Sorgenvoll tigerte ich den Flur auf und ab und sah zu dem Foto von Jeffie hinauf.
    – Schwanzlutscher, sagte ich.
    Mittwochabend fand mein Vater seinen Polstererhammer nicht.
    – Dein nichtsnutziger Bruder kommt hier rein, sagte er durch die zusammengebissenen Zähne, – und nimmt einfach nur, nimmt, nimmt, nimmt.
    Er krempelte sich die Ärmel hoch und stapfte Richtung Haus.
    – Nimmt, nimmt, nimmt, knurrte er.
    – Wie wird Schleifpapier gemacht?, rief ich hinter ihm her. – Was ist ein Handdurchschläger? Soll ich Holzleim oder Epoxidharz nehmen?
    – Hab ich dich, sagte Avrumi.
    Es war am Ende des Tages. Ich hatte nur Steve Austin und Nutverbindungen im Sinn, und gedankenlos nahm ich die Haupttreppe wie alle anderen Schüler auch. Unten wartete Avrumi auf mich.
    Er warf mich zu Boden und legte sich auf mich. Sein Atem roch nach Fischfrikadellen und Milch, und er grunzte, als er mir die Hand zwischen die Beine legte und zudrückte.
    – Schwanzlutscher, sagte ich.
    Alle schnappten nach Luft.
    – Widerwärtiger Mund!, schrie Avrumi und zeigte anklagend mit dem Finger der Linken auf mich. – Widerwärtiger Mund! Widerwärtiger Mund! Du wirst an der Zunge hängen!
    Seine Rechte quetschte weiterhin meine Eier.
     
    Die Garagentüren waren offen, als ich nach Hause kam. Der Schrein war weg.
    – Wo ist der Schrein?, fragte ich meine Mutter.
    – Woher soll ich das wissen?, sagte sie.
    – Wo ist Dad?, fragte ich.
    – Ach ja, richtig, sagte sie. – Er hat den Schrein in die Synagoge gebracht.
    – Ach.
    – Was ist?
    Ich zuckte die Achseln.
    – War etwas in der Schule?
    Ich zuckte die Achseln.
    – Ich habe etwas, das wird dich aufheitern.
    Sie reichte mir einen großen weißen Umschlag. Er war adressiert an »Mein größter Fan«. Ich riss den Umschlag auf und zog ein großes Farbfoto von Steve Austin heraus. Am unteren Rand war etwas Handgeschriebenes.
    Für Sharon , stand da. Herzliche Grüße, Lee Majors .
    – Wer ist Sharon?, fragte ich meine Mutter.
    Sie zuckte die Achseln.
    – Wer ist Lee Majors?, fragte ich.
    Sie zuckte die Achseln.
    – Wahrscheinlich haben sie deinen Namen falsch geschrieben, sagte sie.
    – Welchen Namen?, fragte ich. – Sharon oder Lee Majors?
    – Sharon. Lee Majors ist der Schauspieler.
    – Welcher Schauspieler?
    – Der Schauspieler, der Steve Wieauchimmer spielt.
    – Aber ich wollte kein Autogramm von einem Schauspieler. Ich wollte das von Steve Austin.
    – Bitte, sagte meine Mutter.
     
    Freitagnachmittags, bevor die Jeschiwe fürs Wochenende schloss, füllten sich die Flure mit Schülern, ein tosendes Meer aus weißen Hemden und schwarzen Hosen, und alle strömten wir in die Synagoge, um uns den wöchentlichen Vortrag von Rabbi Goldfinger, unserem Rektor, über die Bedeutung des Sabbats anzuhören. An jenem Freitag stand, als wir zur Synagoge strömten, die Tür zu Rabbi Goldfingers Büro offen, ein seltenes Ereignis, und wir blieben stehen, um

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