Eine Vorhaut klagt an
seinen Rucksack von der Schulter rutschen.
– Na, sogar Yermiyahu hatte bloß eine Zweiundneunzig, sagte ich. – Und der hat ein fotografisches Gedächtnis …
Avrumi stieß mich zu Boden, stürzte sich auf mich und quetschte mir die Eier.
– Jaaaa …, grunzte er, und sein säuerlicher Atem erfüllte meine Nase, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt. – Jaaaa …
Rabbi Napier erzählte uns, Noah hätte, nachdem er die Arche fertiggestellt hatte, nur für die Leute auf der Welt zu beten brauchen – nur ein Mal –, dann hätte Gott sie alle gerettet. Doch Noah habe nicht gebetet.
Vielleicht hatte er es satt, sie retten zu wollen.
Vielleicht wollte er zusehen, wie sie alle ertranken.
Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voll Frevels … Da sprach Gott zu Noah: »Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen; denn die Erde ist voll Frevels von ihnen; und siehe da, ich will sie verderben mit der Erde.«
Ich lag auf dem Rücken, auf den Boden gedrückt von dem dumpfen, grunzenden Haufen Avrumi, der seinen Überfall fortsetzte, und ich blickte hinauf – vorbei an seiner teigigen Backe, vorbei an seinen öligen Schläfenlocken, vorbei an seiner braun-silbernen Kipa, vorbei an dem flachen grauen Dach des braunen Backsteingebäudes der Jeschiwe – in den schwärzer werdenden Himmel darüber, wo sich lautlos große, ernste Wolken ballten, mit den Knöcheln knackten, sich die Hände rieben und warteten. Es sah, so hoffte ich, nach Regen aus.
5
Sagen Sie Stopp, wenn Sie diesen Witz schon mal gehört haben.
– Etwas stimmt nicht, sagte Orli.
Ich merkte durchs Telefon, dass sie geweint hatte. – Was, fragte ich, – was denn?
Ich hörte, wie sie versuchte, normal zu atmen. Sie war in Panik. Ich aber, ich bin ein Fels.
– WAS , sag schon, Scheiße, Orli, was ist los, was ist, ruf mich nicht einfach im dritten Monat weinend an und sag nicht … WAS ?
Die Tests seien da, sagte sie. Etwas stimme mit dem Kind nicht.
– Du beschissenes Arschloch , sagte ich zu Gott. – Du beschissenes, beschissenes Arschloch .
Ich glaube an einen persönlichen Gott; alles, was ich mache, nimmt Er persönlich. Nichts passiert einfach so.
– Gott spricht zu jedem jeden Tag, sagten meine Lehrer. – Aber ihr müsst hinhören.
– Warum ich?, rief meine Mutter aus, wenn sie Rechnungen bezahlte oder Essen kochte oder für Kleider bezahlte oder vom Zahnarzt nach Hause kam. – Anscheinend habe ich was gemacht, sagte sie dann. – Ich weiß nicht, was, aber anscheinend habe ich was gemacht.
Ich kannte einmal einen Rabbi, der mit einer leichten Form von Kinderlähmung geboren wurde. Sein rechtes Bein war am Knie starr gerade, sein rechter Arm am Ellbogen starr gewinkelt. Er war schwerhörig. Er wurde allmählich blind. Sein Haus war niedergebrannt. Sein ältestes Kind war krank geworden und gestorben. – Gott will mir etwas sagen, sagte er immer lächelnd. – Er sagt mir, im nächsten Leben erwartet mich eine große Belohnung!
Es gibt einen alten Witz über einen tauben, einäugigen, verkrüppelten Hund, der immer gleich endet: Hört auf den Namen Lucky .
Manchmal frage ich mich, ob er – und ich – an einer metaphysischen Form des Stockholm-Syndroms leiden. Gefangen gehalten von diesem Mann seit Tausenden von Jahren, loben wir Ihn nun, verteidigen Ihn, entschuldigen Ihn, töten manchmal für Ihn, eine Armee schriller Frömmler, die ihrem Charlie im Himmel die Treue schwören. Meine Beziehung zu Gott ist ein endloser Kreislauf nicht des berühmten »Glaube, gefolgt von Zweifel«, sondern von Beschwichtigung, gefolgt von Revolte; Besänftigung, gefolgt von Gleichgültigkeit; bitte, bitte, bitte, gefolgt von Scheiß drauf, fick dich, verpiss dich. Ich achte nicht den Sabbat und bete auch nicht dreimal täglich oder halte eine Sechsstundenfrist zwischen dem Verzehr von Fleisch und Milch ein. Die Leute, die mich erzogen haben, werden sagen, dass ich nicht religiös bin. Sie haben unrecht. Ich halte zwar die Regeln nicht ein. Aber ich bin quälend, lähmend, unrettbar, elend religiös, und neuerdings beobachte ich sprachlos und verstört, wie überall auf der Welt immer mehr Menschen anscheinend Götter finden, einer hasserfüllter und blutrünstiger als der andere, während ich alles daransetze, Ihn zu verlieren. Und erbärmlich daran scheitere.
Ich glaube an Gott.
Das ist für mich ein echtes Problem.
Ich habe für Kalb sehr wenig übrig.
Der Website NoVeal.org zufolge werden kleine Kälber der
Weitere Kostenlose Bücher