Eine Vorhaut klagt an
das Wohnzimmer gewesen war, eine Hand auf der Hüfte, die andere am Kinn, ein Auge fest geschlossen, mit dem anderen auf die neue Aufteilung spähend.
Jedes Zimmer in unserem Haus enthielt mindestens einen Zeitschriftenkorb, und jeder Korb quoll über von eselsohrigen Einrichtungszeitschriften. Better Homes and Gardens, Traditional Home, Dream Houses . Eine Zeitschrift hieß Kitchens . Eine Zeitschrift hieß Baths . Eine Zeitschrift hieß Kitchens and Baths .
– Wenn du nicht mein ganzes Geld für Zeitschriften ausgäbst, sagte mein Vater manchmal zu meiner Mutter, – könnten wir es uns vielleicht leisten, hier was zu machen.
– Was meinst du?, fragte meine Mutter.
Sie änderte ihre Haltung, dabei ging in einer geübten flüssigen Bewegung die Hand von der Hüfte zum Kinn, die Hand vom Kinn zur Hüfte, sie schloss das Auge, mit dem sie gespäht hatte, und spähte mit dem, das geschlossen gewesen war. War das jetzt , schien sie zu überlegen, ein besseres Heim und Garten oder war es ein schlechteres Heim und Garten? Meistens kam sie zu dem Schluss, dass es einfach dasselbe blöde Heim und Garten war, dann spannte sie mich ein und räumte mit meiner Hilfe alles dahin zurück, wo es gestanden hatte.
– Mir gefällt’s, sagte ich.
Sie spähte noch eine Weile und gab dann auf.
– Dein Vater wird es schrecklich finden, sagte sie. – Hilf mir, es zurückzustellen, bevor er nach Hause kommt.
Wir rückten die Couch an die Wand und waren gerade dabei, den Tisch ins Esszimmer zurückzuziehen, als das Telefon klingelte. Meine Mutter ging in die Küche, um abzunehmen.
– Hallo? Ah, hi, Leslie .
Ich zog den Tisch allein an seinen alten Platz und sah dann gerade rechtzeitig aus dem Wohnzimmerfenster, um Lince Rivera vorbeilaufen zu sehen.
– Ja , sagte meine Mutter. – Ja, das hab ich gehört.
Wir wohnten in einer Sackgasse namens Arrowhead Lane; unser Haus stand am Ende der Straße. Die Arrowhead Lane lag am Westrand von Monsey – postalisch war sie schon Suffern –, und unsere Straße war eine der wenigen in der Gegend, die nicht überwiegend von Juden bewohnt war: Es gab zwei jüdische Familien – wir und die Baums –, eine polnische namens Petrulo (»nichtsnutzige Nazis«), zwei irische, die Kilduffs und die Delaneys (»klassische Judenhasser«), und eine italienische, die Selernos. Und am Anfang der Straße, in der gelben Ranch mit den versetzten Geschossen und dem kaputten Pontiac in der Auffahrt und dem Schild im Vorgarten, auf dem »Sackgasse« stand, wohnte die schwarze Familie. Die Riveras. Lince war achtzehn. Ihr Bruder Leon war ein Jahr älter als ich, ihr Bruder Lionel ein Jahr jünger.
– Ts, ts, ts. Wie hat sie ’ s aufgenommen?
Lince war Läuferin, ein Aschenbahnstar an ihrer Schule, und sie lief fast täglich. Früher war sie mir gar nicht aufgefallen. Jetzt aber kriegte ich den Blick nicht mehr von ihr. In ihren engen Laufshorts und dem noch engeren Tanktop sah sie aus wie aus massivem Stein.
Meine Mutter kam wieder ins Zimmer und schnippte mit den Fingern, um mich auf sie aufmerksam zu machen. Ich drehte mich um. Sie zeigte auf den Hörer.
Mrs Pleeters Vater , formte sie mit dem Mund.
Sie fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Hals.
– Gelobt sei der wahre Richter, sagte sie auf Hebräisch in den Hörer, während sie traurig in die Küche zurückschlurfte. – Gelobt sei der wahre Richter.
Lince war um die Sackgasse herumgetrabt und lief nun wieder den Hügel hinauf; sosehr es mich auch gefangen nahm, wenn sie auf mich zurannte, war ich doch noch gebannter, wenn sie wegrannte. Sie hatte Muskeln, wo ich bisher gar keine vermutet hatte, an den Schenkeln, den Schultern, auf dem Rücken. Die Frauen um mich herum hatten keine Muskeln. Sie hatten Einkaufstüten und Sorgen und Lasten und dünne blaue Adern der Erschöpfung, die sich hinten an ihren dicken, blassen Beinen hinaufwanden. Ihre Körper schienen zur Erde zu zeigen: Brüste, Hintern, selbst der Rücken war niedergebeugt; ihre Körper schienen darauf bedacht, den unausweichlichen Abstieg ins Grab zu beginnen. Linces Körperteile zeigten geradewegs in die Luft, trotzig, lebendig.
Meine Mutter kam wieder ins Wohnzimmer, das Gesicht lang und abgehärmt, und wählte eine Nummer. Stöhnend setzte sie sich auf die Couch.
– Hi, Sally?, sagte sie in den Hörer. – Ich hab schlechte Nachrichten.
Als ich wieder ans Fenster trat, war Lince weg.
Am nächsten Tag ging ich mit meiner Mutter ins Kaufhaus Caldor’s an der Route 59.
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