Eine Vorhaut klagt an
denke ich widerliches Zeug. Im Büro denke ich widerliches Zeug. Auf dem Heimweg vom Büro denke ich widerliches Zeug. Ich treibe in einem Meer aus Fickfleisch. Fickfleisch vor mir auf dem Gehweg, Fickfleisch an mich gedrückt in der U-Bahn, neben mir im Fahrstuhl, an mir vorbei in Fluren. Es ist kein »widerlich« à la Philip Roths Sexuelle-Obsession-als-Reflexion-der-Angst-des-Mannes-vor-dem-Tod. Es ist nicht so, dass mein körperliches Ich nach höherer Erleuchtung verlangt. In meiner Verkommenheit steckt keine größere existenzielle Botschaft. Es ist nicht Sabbath ’ s Theater : es ist Shalom ’ s Buddy Booth . Ich bin eklig. Ich bin bäh. Ich bin gottlos.
Auf der F-Linie uptown gibt’s Bondage, auf der R downtown Analsex. Im Bus auf der 42nd Street gibt’s imaginären Gruppensex. Vorstandssitzungen werden zu Orgien. Ein nervöser Kandidat beim Vorstellungsgespräch wird zum gefesselten Sexsklaven; die Präsentation einer leitenden Angestellten wird zum Strip, zum Lap-Dance, zum Blowjob unter dem kargen Eichentisch (irgendwie wegen des kargen Eichentischs). Ich bin widerlich.
Nun die Pointe:
– Was ist?, fragt Orli.
– Nichts.
– Keine Lust?
– Ach, egal.
Betretenheit.
– Was dagegen, wenn ich’s mache?, fragt sie.
Sie wird schnell fertig.
– Du bist begabt, sage ich.
Sie lacht, geht von mir runter.
Ich schwinge die Beine über die Bettkante. Die Jalousien sind offen, und ich sehe den Mond und die Sterne und den dunklen Nachthimmel dahinter, wo Gott auf Seiner Veranda sitzt und mich auslacht. Lacht und lacht und lacht. – All die Jahre, in denen er seinen Samen ohne eine Frau vergossen hat , sagt Er zu Seinen Kumpeln neben Ihm, – und jetzt kann er mit einer nicht kommen! Abraham lacht und klatscht Gott auf den Rücken.
Klasse, Gott.
Ich schüttle den Kopf.
– Ich versteh das nicht, sage ich. – Man könnte meinen, ich sei sexuell missbraucht worden.
– Man hat dich theologisch missbraucht, sagt Orli. – Das ist viel schlimmer.
Der Dichter Max Jacob schrieb über seine sexuellen Begierden: Der Himmel wird mir die Freuden verzeihen, die, wie er weiß, ungewollt sind . Ein paar Jahre später tötete Gott Max in einem deutschen Sammellager in Frankreich.
Das ist der Begriff, den wir in letzter Zeit verwenden: theologischer Missbrauch . Daran sind Erwachsene beteiligt, dem minderjährigen Opfer bekannt oder nicht, die ihm sagen, ein Irrer lenke die Welt, Er spioniere hinter ihm her, Er warte nur darauf, dass man eine Regel bricht.
God is here,
God is there,
God is truly
everywhere!
Also pass auf, Junge.
Andere Begriffe dafür waren »spirituell betatscht«, »religiös befummelt« und »ungehörig von einem Engel berührt«.
Und nun geben wir also Gott die Schuld, ist es das? Man kann nicht kommen, und irgendwie ist es Gottes Schuld?
Ja.
9
Rabbi Blowfeld führte uns schweigend durch den Flur zu dem abgedunkelten Saal am anderen Ende der Schule. Keiner sagte etwas, als wir unsere Plätze einnahmen. Auf der Bühne vorn standen zu beiden Seiten einer großen Filmleinwand israelische Fahnen. Auf der Leinwand war ein fröhliches kleines Mädchen, das tot war. Sie hieß Anne Frank. Den ganzen Vormittag sahen wir Grauen erregende Filme und drastisches Wochenschaumaterial. Einige Mädchen weinten. In einer Szene lud ein Nazisoldat mit einer Planierraupe Leichen auf einen wartenden Müllwagen. Während die Schaufel Leichen aufnahm und hinaufhob, rollte eine an der Seite herunter. Ihre Arme schienen dabei zu winken, ihr Kopf kippte wie eine schwere Last zwischen den Schultern nach hinten. Sie fiel hinunter und landete auf einem verknäuelten Haufen. Zwischen ihren Beinen sah man ein dunkles Nest Schamhaare. Ich guckte zu Eli, Eli zu mir, dann schauten wir rasch weg. Es war das erste jüdische Mädchen, das ich nackt gesehen hatte. Ich war elf. Sie war tot. Es war der Holocaust-Gedenktag.
– Die Tora sagt uns, sagte Rabbi Blowfeld, – dass Gott in jener Nacht, als er die zehnte und letzte Plage über die Ägypter brachte, die Juden verschonte.
– Warum musste Er sie verschonen?, fragte Rabbi Blowfeld.
– Weil, antwortete Rabbi Blowfeld, – weil die Juden in ägyptischen Vierteln lebten.
Sie assimilierten sich.
– Genau dasselbe, sagte er und sah zu Anne Frank hin, – genau dasselbe.
Als ich nach Hause kam, war das Esszimmer das Wohnzimmer. Das Wohnzimmer war das Esszimmer.
– Na?, fragte meine Mutter.
Sie stand in einer Ecke des Esszimmers, das einmal
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