Eine Vorhaut klagt an
schon erwischte.
10
Als die Schwester in der Geburtsklinik Plastikhandschuhe überstreifte und Orli Ultraschallgel auf den Bauch rieb, lächelte Orli und griff nach meiner Hand. Ich lächelte, drückte sie und dachte an das erste Mal, als Gott versuchte, Mose zu töten.
– Das wird jetzt ein wenig kalt, sagte die Schwester.
Mose und seine Frau Zippora machten mit ihrem Sohn Gerschom einen Spaziergang, als eine riesige Schlange Mose verschlang, den Kopf zuerst, bis zur Hüfte.
– Ist das das Kind?, fragte Orli, die Stimme beinahe ein Flüstern, die Augen auf dem Monitor des Ultraschallgeräts.
– Ja, das ist es, sagte die Schwester.
Die Schlange stieß Mose rasch wieder aus, nur um ihn erneut zu verschlingen, diesmal mit den Füßen voran. Wie zuvor hielt die Schlange an der Hüfte inne.
– Möchten Sie es wissen?, fragte die Schwester grinsend.
Orli schaute mich an und zuckte die Achseln. Auch ich zuckte die Achseln.
– Okay, sagte sie.
Es dauerte nicht lange, da erkannte Zippora, dass Mose angegriffen wurde, weil sie ihren Sohn nicht beschnitten hatten. Sogleich nahm sie einen Feuerstein und hackte ihrem Sohn die Vorhaut ab, worauf die Schlange ihren Mann freigab.
– Es ist ein Junge, sagte die Schwester.
Orli lächelte mich an.
– Ein was?, sagte ich.
– Ein Junge, sagte die Schwester.
– Sind Sie sicher?, fragte ich, beugte mich über Orli und spähte auf den Monitor.
– Oh ja, ganz sicher.
– Das sieht aber wie ein Mädchen aus, sagte ich.
– Du lehnst dich auf meinen Bauch, sagte Orli zu mir.
– Ich mache das seit zehn Jahren, sagte die Schwester. – Es ist ein Junge.
– Wo?, fragte ich. – Ich sehe nichts.
– Du LEHNST dich auf meinen BAUCH , sagte Orli.
– Entschuldige.
Die Schwester zeigte auf einen verschwommenen weißen Klecks auf dem Schirm. – Junge, sagte sie mit Nachdruck. – Wenn Sie eine zweite Meinung hören wollen, kann ich auch den Arzt holen.
– Ist schon gut, sagte Orli.
Die Schwester schob den Monitor beiseite und stand auf. – Sie hatten wohl auf ein Mädchen gehofft, wie?, fragte sie und reichte Orli Papiertücher, damit sie sich das Gel vom Bauch wischen konnte. – Jungs sind einfacher.
– Mag sein, sagte ich. – Aber Mädchen müssen Sie nichts abschneiden.
Davor hatte ich mich gefürchtet; wenn ich nicht genau wüsste, dass Gott ein Dreckskerl ist, der Seine Zeit damit verbringt, sich irre komische Arten auszudenken, wie er mich aufs Kreuz legen kann, hätte ich vielleicht sogar um ein Mädchen gebetet , aber ich wusste, wenn ich das tat, hätte er mir ganz bestimmt einen Jungen gegeben. Ich hätte es auch psychologisch versuchen können und mir das Gegenteil wünschen – um einen Jungen beten und ein Mädchen bekommen –, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Er das durchschaut hätte; dann hätte Er mir zwei Jungen gegeben, Zwillinge, bloß um mich zu verarschen, und alle hätten gesagt: »Oh, so ein Glück!«, und bestimmt wären sie das auch gewesen, nur ich allein hätte die Wahrheit gekannt, dass ihre X und Y, Glück hin oder her, böswillig angeordnet waren, und das hätte mich dann völlig angekotzt, und ich hätte beschlossen, sie nicht beschneiden zu lassen, nur diesem Arschloch zum Trotz, aber Er hätte meine Gedanken gehört und meine Pläne gekannt, und Er hätte zusammengewachsene Zwillinge gemacht, die – haha – an der Vorhaut zusammenhingen, damit mir gar keine Wahl bliebe, als sie zu beschneiden, und in dieser Strafe natürlich einen der warnenden Subtexte versteckt, die Er so liebt – Ehret Meinen Bund mit Abraham, sonst werden eure Kinder an jedem Tag ihres Lebens einander anpissen oder – So ihr sie nicht an Mich bindet, so will ich sie aneinander binden – eine Situation, die, wenn ich es mir jetzt überlege, perfekt wäre – nicht, dass sie sich anpissten, sondern dass sie an der Vorhaut verbunden wären, denn dann bliebe mir keine andere Wahl, als sie zu beschneiden – verflucht, wahrscheinlich machen sie es gleich da im Krankenhaus –, und dann würde wenigstens nicht ich selbst die Beschneidung machen müssen.
Die Schwester raffte ihre Unterlagen zusammen und ging zur Tür.
– Wenn es Ihnen hilft, sagte sie, – in dem Alter spüren sie gar nichts.
– Danke, sagte ich. – Das hilft nicht.
– Ich weiß, sagte sie.
– Tja, sagte ich am nächsten Morgen zu Craig. – Er hat es mir wieder gezeigt.
– Wer?
– Wer ? Na, Gott.
Craig saß an seinem Schreibtisch. Ich hatte mich in die
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg