Eine Vorhaut klagt an
jemand könnte mich sehen, und sagte dem Fahrer, er solle weiterfahren, an der Synagoge vorbei, zu einem ruhigeren Abschnitt der Carlton Road. Ich stellte mir vor, wie wir meinen Vater passierten, auf dem Weg zur Synagoge, und ich stellte mir vor, wie er sich vor das Taxi stellte, die Arme schwenkte und den Fahrer anbrüllte, er solle langsamer fahren, und dann stellte ich mir vor, wie Gott den Fahrer ablenkte und wir ihn deshalb überfuhren. Und Polizeisirenen heulten und ich säße in dem Auto, das meinen Vater an einem Sabbatnachmittag überfahren hatte.
– Das wäre wirklich lustig, hörte ich Gott sagen.
– Hier ist gut, sagte ich zu dem Fahrer.
– Hier?
– Ja, sagte ich. – Hier ist gut.
Ich stieg aus dem Taxi, schaute beim Stein der Pornographie vorbei (nichts) und ging nach Hause. Leon und seine Freunde waren in der Garage. Einer hatte Leons Luftgewehr in der Hand. Leon drehte sich um und sah mich. Ich nickte vage. Er schaute weg. Einer seiner Freunde drehte die Baseballkappe nach hinten, hob das Gewehr und zielte auf mich.
– Peng, sagte er.
Seine Freunde lachten.
– Siehe , hatte Rabbi Blowfeld aus Numeri (23:9) zitiert, – das Volk, das abgesondert wohnt und sich nicht zu den Nationen rechnet. Ein Versuch, unter ihnen zu wohnen – ihre Kleider zu tragen, in ihre Malls zu gehen, ihre älteren Schwestern zu begaffen –, peng, Holocaust.
– Beaniebubi, murmelte der Junge.
Leon nahm ihm das Gewehr ab und schubste ihn. Er langte nach der Garagentür. Er nickte vage. Ich schaute weg. Hinter mir hörte ich, wie die Garagentür zuging.
– Wo warst du?, fragte mein Vater, als ich nach Hause kam und er gerade die Anzugjacke anzog und die Krawatte festzurrte.
– Bei Ari, log ich.
– Hol deinen Bruder. Du kommst zu spät zur Synagoge.
Meine Mutter war im gemütlichen Zimmer und las die neue House Beautiful .
– Junge, Junge, sagte sie. – Das ist vielleicht eine Küche.
Ihre Eltern waren arm gewesen. Sie hatte Ärztin werden wollen, doch ihr Vater hatte das Geld, das er für ihr Studium angespart hatte, für die Rabbinerausbildung ihres älteren Bruders ausgegeben. Bald nachdem sie meinen Vater geheiratet hatte, starb dessen Vater. Er hinterließ sein gesamtes Vermögen – Millionen, hieß es – der Wohlfahrt. Es war nicht das Leben, das sie geplant hatte, und ich fragte mich, ob sie deshalb so viel an den Tod und an Innenein-richtungen dachte. Irgendwo gab es ein besseres Haus mit dem Namen meiner Mutter daran, und wenn schon nicht das, dann einen Grabstein. Ich lief in die Mall davon, sie stellte die Couchs um. Ich hoffte, irgendwo vor uns lägen grünere Wiesen und bessere Gärten, aber es machte mich traurig, dass es möglicherweise nicht dieselben Gärten oder Wiesen waren.
– Die Dachfenster sind schön, sagte ich.
– Nicht in diesem Leben, seufzte sie.
Unten traf ich auf meinen Bruder, er sagte, er wolle nicht mit in den Nachmittagsgottesdienst, worauf mein Vater sagte: – Setz deinen Arsch in Gang, worauf mein Bruder Nein sagte, worauf mein Vater sagte: – Pass bloß auf, wenn ich runterkomme, worauf mein Bruder sagte: – Ist mir gleich, was du machst, worauf mein Vater sagte: – Mit dir befass ich mich später, dann sagte er, ich solle mitkommen, was ich tat.
Ich lief neben meinem Vater die Straße hinauf, die ich gerade noch heruntergelaufen war. An der Ecke kamen wir an den Sabbatengeln vorbei, sie saßen auf der Erde unter dem Sackgassenschild. Sie warfen abwechselnd Kiesel in den Kanaldeckel in der Nähe.
– Hi, sagte der erste Engel.
– Hi, sagte ich.
– Wie läuft’s?, fragte der zweite Engel.
– Was glaubst du?, sagte ich.
– Soll es so auch am nächsten Sabbat sein?, fragte der erste Engel.
– So soll es sein, sagte ich.
– Ich hasse Sabbat, sagte der zweite Engel.
– Wer nicht?, sagte ich.
Wir betraten die Synagoge, als die Gemeinde gerade mit dem Schmone Esre begann, dem Hauptgebet des Gottesdienstes. Es besteht aus achtzehn gesonderten Bitten und wird stumm, im Stehen, von jedem Gemeindemitglied verrichtet. Ich nahm mir ein Gebetbuch aus dem Regal, stellte die Füße zusammen und begann zu beten. Danach folgte wieder eine langweilige Ansprache von Rabbi Blonsky, dann weitere Gebete, gefolgt von einem weiteren Schmone Esre . Bis zum Ende des Sabbats gab es an die vierzig Gebete, aber das war mir ganz recht. Ich hatte 613 Sünden abzutragen, und bis zum nächsten Sabbat waren es noch sechs lange Tage.
Wenn Herr Holocaust mich nicht vorher
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