Eine Vorhaut klagt an
Weiß ich nicht. So schwierig wird es schon nicht sein.
– So schwierig wird es nicht sein?
Orli ist ihrer Abstammung nach eine körperlich attraktive, aber diskursiv frustrierende Verbindung aus Mittlerem Osten und Russland; die erbarmungslose Befragung liegt ihr im Blut.
– Tut mir leid, fuhr sie fort, – aber es fällt mir wirklich schwer zu glauben, dass dieser Nazi sein Messer einem jüdischen Häftling gereicht hat. Ein Messer ist eine Waffe. Und wie hat sie – also, man hackt das Ding doch nicht einfach so ab.
– Es war im Holocaust , Schatz.
Sie kickte einen Stein den Pfad entlang.
– Ich weiß, dass es im Holocaust war. Ich kapiere bloß nicht, wie die Leute, wenn man sie in Konzentrationslager steckt, plötzlich alle zu Mohels [Leute, die Beschneidungen durchführen] werden. Wenn man mich in Auschwitz einsperrt, werde ich damit doch nicht zur Chirurgin, Herrgott.
Es war eine angespannte Zeit. Wir stritten uns wegen der Vorhaut, waren nervös wegen des Babys und in Panik, dass dessen Ankunft die Familien, von denen wir uns in langer, harter Arbeit abgekoppelt hatten, irgendwie wieder zurückholen würde.
Die Sonne ging unter, und ich rief nach den Hunden, besorgt, jemand könnte sich schon mal für die Jagdsaison warm schießen. Harley und Duke sind Rhodesian Ridgebacks, und ohne ihre orangefarbenen Sicherheitswesten kann man sie leicht mit Rehen verwechseln. Könnte eine dieser Sicherheitswesten uns vor Gott schützen, würde es mir nicht im Traum einfallen, unseren Sohn zu beschneiden.
– Entschuldige, sagte Orli.
Wir nahmen uns an der Hand und gingen weiter den Berg hinab.
– Schon gut.
– Die Geschichte klingt einfach ziemlich bescheuert.
Ich legte den Arm um sie, und wir stolperten den Weg zurück nach Hause.
Wäre sie doch da gewesen. Wäre sie doch da gewesen, als Rabbi Kahn mich beim Segenwettbewerb verarschte. Wäre sie doch da gewesen, als ich den Stein der Pornographie entdeckte. Wäre sie doch am Holocaust-Gedenktag im Hörsaal gewesen, um mich, nachdem Rabbi Blowfeld die Geschichte von der alten Frau und der Vorhaut erzählt hatte, anzusehen, die Augen zu verdrehen und mit dem Mund das Wort bescheuert zu formen.
Daher weiß ich, dass ich sie liebe.
Daher weiß ich, dass ich immer mit ihr zusammenbleiben will.
Und daher weiß ich auch, dass Gott sie töten wird.
Ich holte einen Joint aus der Tasche und steckte ihn an.
– Ich dachte, du wolltest es mal eine Weile lassen, sagte sie.
Ich zuckte die Achseln.
Ich bat nicht um Meinungen über die Vorhaut, sie wurden mir auch so gegeben. Viel gehörte nicht dazu.
– Kennst du das Geschlecht des Babys?
– Es ist ein Junge.
Und schon geht’s los.
Unser Freund aus dem Nobelviertel Brooklyn Heights war für die Beschneidung, »Na ja, wegen der Ästhetik«, wohingegen mein Anwalt, der schwul ist, uns empfahl, sollten wir auch nur den leisesten Verdacht haben, unser Sohn sei homosexuell, das verdammte Ding dran zu lassen.
– In meiner Community sind sie hoch geschätzt, sagte er.
Wenigstens dachte da mal jemand an den Jungen.
Eine Woche später, in Craigs Büro, saß ich dann Patricia gegenüber. Sie ist Art Director, ehemals orthodox, zurzeit Buddhistin, makrobiotisch, pro-Palästinenserin, Tierrechtlerin.
– Ich fasse es nicht, dass ihr das überhaupt in Erwägung zieht, sagte sie. – Dann könnt ihr ihm ja auch gleich einen Finger abschneiden oder die Nase aufschlitzen. Mit dem Messer verletzen – für Gott. Das ist es doch eigentlich, oder?
Allmählich kam ich mir schon selbst ein bisschen wie eine Vorhaut vor.
– Haut ihm doch eine runter, schlug sie vor, als sie ihre Unterlagen wütend zu einem Haufen zusammenraffte und sich zum Gehen wandte. – Wartet acht Tage, ladet die Familie ein, stellt Wein und Kugel hin und haut ihm einfach voll eine runter.
Sehr wie eine Vorhaut. Abgeschnitten von meiner Vergangenheit, meiner Zukunft nicht sicher, blutend, geschlagen, weggeschmissen. Ich fragte mich, ob es einen Ort gab, wo Vorhäute hinkonnten, einen, wo sie zusammenleben konnten, friedlich, geliebt, gebraucht, eine Nation der Vorhäute, durch die Vorhäute, für die Vorhäute.
Patricia knallte die Tür hinter sich zu. Craig setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber.
– Hör mal, sagte er.
Er holt tief Luft und sagte mir, was ihn betreffe, sei Aufwachsen allein schon schwer genug, und dass er seine Söhne nur aus dem einen Grund beschnitten habe, damit sie sich nicht eines Tages fragten, warum sie
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