Eine Vorhaut klagt an
mich fragte, ob ich ihrer Freundin beim Umzug in eine neue Wohnung helfen könne. Ihre Freundin hieß Orli, und sie war gerade aus London gekommen. Orli war auch eins von Leahs Judenrettungsprojekten, und sie wollte, dass wir uns kennen lernten. Zwei Ertrinkende, so hoffte sie, würden zusammen schwimmen lernen. Das taten wir dann auch, aber nicht in der von ihr erhofften Weise.
Am nächsten Abend saß ich in meinem Wagen vor der Adresse, die Leah mir gegeben hatte, und wartete auf sie und Orli. Es klopfte ans Fenster.
– Shalom?, fragte Orli.
– Ja?
– Bloody hell , sagte sie lachend. – Du hast mich ja zu Tode erschreckt.
Sie war schön – grüne Augen und lange, dunkle Haare, ein Akzent wie die Königin von England und ein Mundwerk wie Sid Vicious. Es machte mich zu Benny Hill.
– Was liest du da?, fragte sie und zeigte auf das Buch auf dem Beifahrersitz.
– Verbrechen und Strafe , sagte ich.
– Ist das gut?
– Es ist lustig, sagte ich.
– Wovon handelt es?
– Von einem Typen, der eine alte Frau umbringt.
– Und?
– Und darüber zerbricht er sich dreihundert Seiten lang den Kopf.
– Das klingt ja wirklich lustig.
Es war Isaaks Glücksabend.
Als Orlis Kartons oben waren, ging Leah nach Hause, und Orli und ich redeten. Wir redeten und redeten und redeten, und wir redeten weiter, bis die Sonne wieder aufging. Wir redeten beim Frühstück, redeten beim Lunch, redeten auf unserem Spaziergang durch den Central Park, redeten beim Abendessen und redeten die ganze nächste Nacht durch bis zum Morgen. Orli hatte ihre eigenen Traumata hinter sich, und obwohl anders als meine, glichen sie sich doch sehr in der Wirkung. Die Aussichten waren verblüffend.
– Also , sagte Isaak, – mein Vater, der war, ähm, irgendwie … also, er hat versucht, mich seinem Gott zu opfern.
– Hör AUF ! , sagte die Frau neben ihm an der Bar und knuffte ihn spielerisch. – Meiner auch!
Einer wie ihr, die mich so, wie ich war, lieben und akzeptieren könnte, war ich noch nie begegnet, und ich hatte nicht vor, es aufs Spiel zu setzen, indem ich so dumm war, mich völlig zu entblößen. Es gab doch einige Dinge, die sie nie verstehen würde – den Gott, die Obsession mit Sex, die Schuld, die Scham. Beim Frühstück mit Earl Grey und Walker’s Shortbread ( trefe! ) blickte ich ihr in die grün gesprenkelten Augen und wusste, dass ich sie für den Rest meines Lebens lieben und belügen würde.
Meine Mutter rief an.
– Ist sie Jüdin?, fragte sie.
– Ja, sagte ich.
– Jüdin und aus London?
Ich legte auf. Den Juden in Monsey fällt es furchtbar schwer, sich vorzustellen, dass es anderswo auf der Welt auch Juden gibt, und falls doch – falls –, sind sie bestimmt weniger fromm. Meine Mutter rief einen Rabbi in Monsey an, der wiederum einen Rabbi in Manhattan anrief, der einen Rabbi in Central London anrief, der einen Rabbi in North Finchley anrief.
– Wie ich höre, kommt sie aus einer guten Familie.
Ich legte auf.
– Du bist als koscher bestätigt, sagte ich zu Orli.
– Masel tow , sagte sie. Dann scherzte sie, dass ich sie ja dann bedenkenlos essen könne, und ich fiel fast in Ohnmacht.
Ich versuchte, nicht zu optimistisch zu sein. Ich wusste nicht, was Gott vorhatte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Er mir nur das Herz brechen wollte. Womöglich hatte sie schon einen Mann. Womöglich hatte sie einen inoperablen Gehirntumor. Womöglich hatte sie einen Penis. Ein paar Wochen später gingen wir zu einem Spiel der New York Rangers, wo sie drei lange Drittel lang den Schiedsrichter als Wanker! beschimpfte, während ich, der ich mich verliebt hatte, darauf wartete, dass der Puck vom Torpfosten prallte, auf die Tribüne segelte und sie hart traf, voll auf das unsichtbare X, das der Allmächtige meiner Geliebten zwischen die Augen gemalt hatte. Das wäre ja so typisch Gott.
Doch Orli verließ den Madison Square Garden lebendig (– Knappes Spiel, hatte sie danach gesagt. – Ja, sagte ich, – sehr knapp …), und das nahm ich dann als Entwarnung von Gott. Ein halbes Jahr später waren wir verheiratet und wohnten im East Village.
Hat man erst mal angefangen, Pornographie zu verbrennen, kann man kaum noch aufhören. Seit der sechsten Klasse hatte ich reuig Pornohefte verbrannt, doch als Vierzehnjähriger in einer Jeschiwe-Highschool, die nur 139 kurze Blocks vom Times Square entfernt lag, steigerte sich die Verbrennungsquote dramatisch.
Gottes Lust, mich zu prüfen, war ebenso unstillbar wie
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