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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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etwas mit einem Burggraben mit Krokodilen darin. Schon nach einem halben Jahr Ehe hatte ich ein Black Tail unter der Matratze und ein Barely Legal hinterm Bücherregal.
    Eines Nachts, Orli schlief schon tief neben mir, zog ich ihr vorsichtig die Fernbedienung aus der Hand, stellte den Ton leiser und schaltete von Cheers zur Robin Byrd Show . Hinterher bestrafte ich mich. Weil ich schwach gewesen war. Weil ich ein Sünder gewesen war. Weil ich meine Frau, weil ich mich enttäuscht hatte, weil ich mein Vater geworden war. Weil ich mir den Zorn Gottes zugezogen hatte, einen Zorn, der mich nicht mehr berührte, dafür aber Orli und meine Ehe. Es war eine Nacht der besonders schweren Selbstvorwürfe. Als ich am Morgen erwachte, litt ich Qualen.
    – Etwas stimmt nicht, sagte ich zu Orli.
    – Was denn?
    – Etwas.
    Eine Stunde später watschelte ich in die Notaufnahme des New York Hospital in der East 68th Street.
    – Hodentorsion, sagte der Arzt.
    – Nie gehört, scherzte ich gequält.
    – Das ist keine Band, sagte er. – Das ist ein sehr ernster medizinischer Befund; wir müssen sofort operieren.
    Er erklärte, einer meiner Hoden habe sich »gelöst«, wodurch der Samenleiter abgeschnürt und die Blutzufuhr abgeschnitten worden sei, was eine Notoperation erfordere. Ich hoffte, Gott hatte so großen Spaß daran, wie ich es von Ihm erwartete.
    – Willigen Sie in die Operation ein?, fragte der Arzt.
    Ich presste die Fingerspitzen gegen die Augen und schüttelte ungläubig den Kopf.
    – Mit »gelöst« haben Sie mich erwischt, antwortete ich.
    Die Krankenschwester erbot sich, Orli anzurufen, und reichte mir ein Formular, das das Krankenhaus ermächtigte, mir die Hoden zu entfernen.
    – Okeydokey , sagte ich zu Gott, als sie mich in den OP schoben. – Ich glaube, damit sind wir quitt.
    Einige Zeit später erwachte ich in meinem Klinikbett, und meine Hoden waren glücklicherweise noch genau da, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Unglücklicherweise ist das New York Hospital jedoch eine Lehrklinik. Einmal am Vormittag und dann wieder abends kam der Chirurg mit einer Gruppe Medizinstudenten herein, schlug meine Bettdecke zurück, zeigte auf meine angeschwollenen Hoden und fragte: – Also, wer kann mir sagen, was wir hier haben?
    Die Studenten hielten sich die Hände vor den Schritt und schauten weg, die Studentinnen – allesamt blond und schön – hielten sich die Hände vor den Mund, bliesen die Wangen auf und beugten sich vor, um es sich genauer anzusehen.
    O ja – Er hatte großen, großen Spaß daran.

19
     
    Und Abraham stand auf, und er ging dahin.
    Und siehe, er war enttäuscht.
    Unser erstes Ehejahr war schwierig. Ich hasste meine Familie, war aber freundlich zu ihnen, ich liebte meine Frau, war aber schroff zu ihr. Mit dem East Village lief es nicht. Es sollte mein Ungelobtes Land werden, das letzte Kapitel des umgekehrten Exodus, zu dem mein Leben geworden war – ich war aus dem Land meiner Stammväter geflüchtet, dem Land Abrahams, Isaaks und Jakobs und Rabbi Kahns und Rabbi Blowfelds, dem Land der Jeschiwes und gewalttätigen Rabbis und der religiös bedingten Liebe meiner Eltern, und hatte mich nach Manhattan aufgemacht, dem Land der Freiheit und Anonymität, der ausländischen Filme und unverständlichen Theaterstücke und aller nackten Frauen, zu dem Ort, den Woody Allen mir gezeigt hatte. Stattdessen bekam ich Martin Scorsese.
    Klasse, Gott.
    Wir hatten ein bezauberndes Erdgeschoss-Studio in der East 13th Street gemietet, gleich gegenüber einer ganz süßen kleinen Suppenküche und nur ein paar Häuser weiter von einer kuscheligen ambulanten Methadonklinik. Nachts schliefen wir zu den unsanften Lauten Obdachloser ein, die die Mülltonnen direkt vor unserem Fenster durchwühlten, unseres Vermieters, der sie anbrüllte, und dem Geschepper der Glasflaschen, die er aus dem Fenster warf, um sie zu vertreiben. Bald dämmerten wir weg, während vor unserem Fenster Heroinsüchtige und Geisteskranke leise die größten, schärfsten Glasscherben von unserer Haustreppe auflasen.
    – Gute Nacht, Schatz, sagte Orli.
    – Gute Nacht, Liebes, sagte ich.
    – Morgen schlitz ich die abgewichste Schwuchtel auf, sagte der Heroinsüchtige.
    Ich zeigte Gott den Mittelfinger. Orli sah mich an und strich mir über die Wange. Ich hatte erwartet, meine Beziehung mit Gott mache ihr Angst, doch sie machte sie nur traurig.
    Ich versuchte, die Sache positiv zu sehen. Ja, auf unserer Treppe schiss ein Mann. Aber ich hatte es

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