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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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nach Hause zurück, ich aber hatte offenbar das umgekehrte Problem: Mir war, als sei ich im Schutz der Nacht in einer wagemutigen Aktion aus Auschwitz ausgebrochen, an den Wachen vorbeigekommen, an den Hunden, in den Wald gerannt und auf einen vorbeifahrenden Zug aufgesprungen, der zwei Stunden später in Treblinka einfuhr.
    Ich lehnte mich gegen die Tür, blickte finster zur Decke und zeigte Gott den Finger.
    – Fick Dich, sagte ich.
    Das Telefon klingelte. Der AB sprang an. Es war meine Mutter. Sie beglückwünschte uns mit einer Aneinanderreihung jiddischer Wendungen zu unserem Umzug und meinte, wie wunderbar es sei, dass wir nur eine halbe Stunde entfernt wohnten. Dann mehr Jiddisch.
    – Nein, sagte der Herr. – Fick dich.
    Es gibt neununddreißig Kategorien Arbeit, die am Sabbat verboten sind. Kategorie 37, ein Feuer machen, schließt auch den Gebrauch von allem Elektrischen aus inklusive Fernseher. Ich hatte beschlossen, Freitagnachmittag den Fernseher anzuschalten – vor Beginn des Sabbats – und ihn bis zu dessen Ende, fünfundzwanzig Stunden später am Samstagabend, einfach anzulassen. Genau genommen war das nicht »im Geiste des Sabbats«, aber nicht im Geiste des Sabbats sein war streng genommen keine Sünde, und die Rangers waren sehr wahrscheinlich neun Siege vom Gewinn des Stanley-Cup-Finales zum ersten Mal nach vierundfünfzig Jahren entfernt. Ich schaltete den Fernseher an, drehte den Ton leiser und legte ein ausgewaschenes Badetuch über den Bildschirm, um das flackernde blaue Licht unserer moralischen Schwäche vor den Nachbarn zu verbergen.
    – Glaubst du wirklich, wenn du den Fernseher am Sabbat laufen hast, dass Gott die Rangers verlieren lässt?, fragte Orli.
    Ihre Naivität verblüffte mich.
    – Ich glaube es nicht. Ich weiß es.
    Orli nahm mich in den Arm. – Die haben dich wirklich übel verarscht, sagte sie.
    Wir duschten, zogen uns an, entzündeten die Sabbatkerzen und gingen zum Freitagabend-Sabbat-Essen zu meinem Bruder. Er zeigte uns sein Haus. Er zeigte uns seinen Garten. Er zeigte uns seine neue Limousine. Er zeigte uns seine neuen Angelruten.
    – Habt ihr schon meinen neuen Fernseher gesehen?, fragte er.
    – Ich glaube, wir gehen lieber, sagte Orli. Ich entschuldigte mich für sie, heuchelte Widerstand, und dann hasteten wir durch das zunehmende Dunkel Arm in Arm nach Hause.
     
    Am nächsten Morgen schlurfte ich ins Wohnzimmer und sah voller Entsetzen aus dem Fenster: Dutzende junger verheirateter Paare in teuren Anzügen und noch teureren Kleidern, wenigstens die Hälfte der Frauen ein Baby auf dem Arm, standen auf dem lichten Rasen in der Mitte des Terrace-Circle-Komplexes und spielten mit ihren Krawatten, Hüten und Neugeborenen Dingebeschreiben (auf dem Rasen sitzen war verboten, weil das Gras die Kleidung färben konnte – Färben, Kategorie 15; manche meinten, es sei auch eine Verletzung des Pflügens, Kategorie 2, und, sollte mit dem Schuhabsatz Gras aus der Erde gerissen werden, auch Ernten, Kategorie 3). Das Fenster stand offen, und ich hörte, wie Paare mit Kind Paaren ohne Kind erzählten, wie toll es sei, ein Kind zu haben. Die Paare ohne Kind sagten: – Wir können es gar nicht erwarten.
    – Im jirze Ha-Schem für euch, antworteten die Paare mit Kind. Wenn Gott es so wünscht.
    Orli und ich beschlossen, einen Spaziergang zu machen.
    – Muss ich Sabbatsachen anziehen?, fragte ich.
    – Woher soll ich das wissen?, fragte Orli.
    – Was ziehst du an?
    – Ich ziehe Kleider an.
    – Das sind Sabbatkleider.
    – Ein Rock ist ein Sabbatkleid?
    – Ja, sagte ich.
    – Du magst Röcke einfach nicht.
    – Weil die Leute sie am Sabbat tragen.
    – Weil du denkst, ich sehe darin wie eine Jüdin aus.
    – Du siehst darin auch wie eine Jüdin aus. Du siehst aus wie eine Jüdin, und es ist Sabbat.
    – Sag mir eins, Shal, sagte sie. – Ich kenne diese Leute nicht. Kann ich das tragen oder nicht?
    – Ich weiß es nicht.
    – Und die Turnschuhe hier?
    – Was ist damit?
    – Kann ich die tragen? Verlieren die Rangers, wenn ich am Sabbat Turnschuhe trage?
    Ich dachte über diese Frage nach.
    – Wahrscheinlich.
    – Schön. Sie zuckte die Achseln. – Dann trage ich Schuhe. Mir ist das egal.
    Ich wusste es. Ich wusste, dass wir Sabbatkleider tragen mussten.
    Wir gingen über den Rasen, die Einfahrt zum Terrace Circle hinunter, weg vom Komplex.
    – Gut Schabbes , rief uns jemand zu.
    – Gut Schabbes , riefen wir zurück.
    – Gut Schabbes , rief jemand anderes.
    – Gut

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