Eine Vorhaut klagt an
nicht weit zur Arbeit. Haschdealer machten ihre Geschäfte. Und ich war nicht in Monsey.
– So schlimm ist es doch gar nicht, sagte ich und gab Orli den Joint weiter. – Wir schaffen das schon.
Wir hatten zu kämpfen. Manhattan war kalt, tot und voller Psychotiker – Psychotiker, in Müllsäcke gehüllt, die ihre Habe in Einkaufswagen mitführten, Psychotiker in schickem Anzug und Krawatte, die rund um die Uhr auf einer Stelle arbeiteten, die sie verachteten, Psychotiker, die herumliefen, als wären sie in einem Film, die posierten und sich aufplusterten, als wären sie von imaginären Paparazzi und Filmcrews umgeben. Mir war der Obdachlose lieber, der seine imaginäre Mutter beschimpfte; immerhin konnte ich diesen Drang verstehen. Statt Atheismus hatte ich einen Polytheismus angetroffen; hier gab es mehr Götter als damals in Monsey – vielleicht nicht so rachsüchtige, aber deshalb weckten sie in ihren Anbetern nicht weniger Hingabe: die höheren Götter – Mode, Geld, Erfolg, Macht – und die niedrigeren Götter – Auto, Mitgliedschaft im Fitnessclub, Adresse (ich war mir sicher, dass ein heiliger Krieg zwischen den 14th-Streetlern und den Über-14th-Streetlern drohte). Es gab eine Bibel namens The New York Times , eine namens The Village Voice und einen Gott namens Frank Rich. Und siehe, es gab »Trump, der Herr des Geldes«, und im East Village, wo wir wohnten, einen Tempel namens Kim’s Video, darin arbeiteten mürrische, untergewichtige, pickelige Akolythen eines Gottes namens Sergej Eisenstein, Schöpfer der Montage, Wiederbeleber des Schnitts, welcher Potemkin in die Welt gebracht und Seinem Volk proto-didaktischen filmischen Symbolismus beschert hat.
Nur die Substantive hatten sich geändert.
Verdammt seist du, Woody Allen.
Ein paar Wochen später erschien unser Nachbarhaus auf dem Titel der New York Post . Die Schlagzeile lautete:
CRACK-HAUS .
Und Abraham packte seinen Scheiß zusammen, und er zog in die Upper East Side .
Wir mieteten eine heruntergekommene Wohnung an der Bahn in einem altersschwachen Bau in der Second Avenue, Ecke 71st Street. Der Fußboden war auf ganzer Länge in einem Winkel von fünfzehn Grad geneigt, eine schwache Metapher für die emotionale Verfassung seiner Mieter.
– Klasse, sagte ich zu Gott. – Ich kapier’s … geneigt . Schlaumeier.
Um die Zeit unseres ersten Hochzeitstags gab ich meinen Job als Werbetexter auf, um etwas anderes zu schreiben, doch ein halbes Jahr später war ich der Vorstellung, was dieses andere sein könnte, noch nicht näher gekommen. Ich hatte nur zwei Vorstellungen gehabt, was ich gern machen würde. Die eine war masturbieren. Die andere, Hasch zu rauchen. Danach hatte ich an einer dritten gearbeitet, einer Art Persiflage der ersten zwei. Ich hatte erwartet, als Freiberufler in der Werbung etwas Geld zu verdienen, doch Gott fand es lustig, in der Woche nach meiner Kündigung eine Rezession in der gesamten Branche auszulösen. Ich schlief den ganzen Tag, und die ganze Nacht starrte ich auf ein leeres Blatt. Ich hatte eine Lieblingsfolge von Robin Byrd . Ich las Kafka, Gogol, Dostojewski. Ich fühlte mich so, wie Beckett aussah. Ich erklärte mich bereit, einen Psychiater aufzusuchen.
Ich erzählte Dr. Hirsch, ich hätte viel über Selbstmord nachgedacht.
– Nicht, ihn zu begehen, sagte ich. – Vielmehr über seine theologischen Implikationen.
Er scheine mir, erklärte ich, die einzige wirklich freie Wahl zu sein, die wir hätten. Bestimmt sei er die Achillesferse in Gottes gesamtem kleinem Schöpfungsprojekt, einem Projekt, das aus Narzissmus und Dominanz geboren sei, einem Projekt, dessen Grundregel eklatant verletzt würde, wenn man sich das Leben nähme: Du bleibst auf deinem Zimmer, bis ich sage, du darfst wieder raus. Dass Er ihn als Sünde ansah, lasse meine Theorie nur noch glaubwürdiger erscheinen: Er sei ein Kontrollfreak, und wahrscheinlich mache es Ihn wahnsinnig, dass man sich das Leben nehmen könne – dass die gesamte Menschheit Seine erbärmliche Schöpfung en masse beenden könne –, und dass das vielleicht Grund genug sei, es zu tun, weil Scheiß drauf, weil das Sein Sandkasten sei und Er mich bestrafen könne, wann immer Er wolle. Aber nun rate mal, o Herr. Rate mal, Es-soll-keinen-anderen-Gott-neben-mir-geben, Rate mal, Liebe-mich-und-fürchte-mich, rate mal. Ich kann jederzeit mein Schäufelchen nehmen und nach Hause gehen.
– Glauben Sie wirklich, dass Gott Sie bestraft?, fragte Dr. Hirsch.
Seine
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